Besuch von Bob

Robert Morris war 1996 oder 1997 ein Jahr als akademischer Gast an dem Freiburger Institut, an dem ich einige Jahre tätig war (davon mehr in einer Woche). Bob durften wir ihn nennen. Er war ein feiner Mann mit zurückhaltendem Lächeln und einer stillen Präsenz. Er war es, der Freitag nachmittag zum Wochenende ein Zusammensein der Forscher bei Whisky einführte, und ich durfte dabeisein. Da war ich stolz.  

Das Leben von Robert L. Morris in Kürze: Er stammte aus Philadelphia, war unterhalb der Heintz-Ketchupwerke aufgewachsen, studierte Psychologie und arbeitete eine Weile am Forschungszentrum von Joseph Banks Rhine an der Duke University in Durham. Nach zehn Jahren auf Dozentenstellen in Kalifornien (und als PA-Präsident) wurde er 1985 Inhaber des Koestler-Stiftungslehrstuhls für Parapsychologie in Edinburgh. Das Geld dafür kam von dem erfolgreichen Schriftstellers Arthur Koestler (1905-1983), der sich als 50-Jähriger der Parapsychologie zuwandte (Die Wurzeln des Zufalls ist gut zu lesen.)

Manchmal lachte Bob still in sich hinein, dann verengten sich seine Augen zu Schlitzen. Einmal sagte er, Fußball schaue er gern an, und er bilde sich ein, aus wissenschaftlichem Interesse, aber ihm sei klar, dass es einfach eine Passion sei. Er war eben Psychologe – und als Parapsychologe war er nüchtern und abwägend, eher skeptisch. Robin Foy hat in seinem Buch Witnessing the Impossible von einer Sitzung erzählt, bei der Bob zu Gast war und etwas ganz Schwieriges verlangte, was auch irgendwie die Harmonie störte. So war er eben. (Das Bild ist von Rick Berger und wurde 1994 aufgenommen. Dank an die PA dafür! Wenn sie wüsste, was ich vorgestern zu ihrer Konferenz geschrieben habe …)

Nun wollte ich ein Gedicht hierhersetzen, das ich 2011 verfasste:
Besuch von Bob. 
 Ich belasse es bei den ersten vier Zeilen, die mir gelungen vorkommen; den Rest erzähle ich in Prosa, es ist ja alles wahr, und in Gedichtform klingt es zu banal. 

»Zweitausendvier, Anfang Oktober, fuhr ich weg aus Rom,
Verließ die leere Wohnung, eingeölt glänzte das afrikanische Parkett.
Rucksack, zwei Packtaschen am Rad, vorbei am Petersdom.
Bei Freunden unweit von Grosseto stand mein nächstes Bett.«

Ich hatte nach fünf Jahren rituell Abschied von der Ewigen Stadt nehmen wollen und fuhr also bei mäßigem Wetter in Richtung Norden, vorbei an Siena, über Lucca, Aulla und Pontremoli, und dann ging es hoch zum Appennin. Es wurde zunehmend neblig, auf 1000 Metern Höhe herrschten 5 Grad; ich zog an, was ich hatte, fuhr den Berg hinunter und kam, halb erfroren und mit tauben Fingern, in das Dorf Verzasca oberhalb von Piacenza. Da fand ich einen Gasthof, bekam ein gutes Essen und hatte danach, lesend, einen halben Liter Rotwein neben mir stehen. Im Nebenraum lief ein Fußballspiel.

Dann betrat ein schlanker Mann im Sommeranzug, begleitet von einer schönen Frau, den Raum und stellte sich an den Tresen.  Auch sie tranken Wein, er winkelte anmutig das Bein an und war guter Dinge. Er hatte eine Glatze und trug eine dünnrandige Brille. Ich saß in der Dunkelheit, im Rückraum und sah zum Tresen hin wie auf eine Bühne. Ich hatte den Eindruck, das müsste Bob sein. Ich dachte: Bob Morris! Dieselbe feine Eleganz, das charmante Lächeln, unglaublich. Es war aber auch nicht so evident, dass ich hingelaufen und ihn begrüßt hätte; er war es und er war es nicht. Ich schaute einfach zu und freute mich an den beiden, bis sie dann nach ein, zwei Stunden wieder gingen.  

Das hatte sich am 9. Oktober ereignet, und später in Freiburg erfuhr ich dann, dass Bob Morris am 12. August 2004 – heute vor acht Jahren — an einem Herzinfarkt gestorben war, überraschend, mit 62 Jahren. 

Das „Gewölbe des Todes“, Urbino

Auf der Seite der Parapsychological Association sah ich erst jetzt Fotos von Bob aus dem Sommer 2004, und da trug er einen weißen Vollbart und war runder im Gesicht. Ich hätte ihn kaum wiedererkannt! Ich muss dazusagen, dass ich sieben Jahre nicht an ihn gedacht hatte. Darum halte ich mein Erlebnis nicht für einen Zufall. Ist er mir so erschienen, wie ich mich an ihn erinnerte? 

Der Fall muss diskutiert werden. Es gibt ja das Phänomen, dass man jemanden sieht, der einem Bekannten gleicht; und ein paar Sekunden später kommt dieser selbst um die Ecke. Sein Gesicht hat sich als präkognitive (vorausschauende) Wahrnehmung auf das Gesicht des Vorherigen gelegt. Der Österreicher Paul Kammerer hat das einen Prévenant genannt, einen ›doppelgängerischen Vorläufer‹. Und dann gibt es das Phänomen, dass ein Medium in Tieftrance, durch das ein Verstorbener spricht, manchmal kurzzeitig dessen Gesichtszüge übernimmt: Transfiguration heißt das.

In Verzasca war ich in meiner meditativen Stimmung vielleicht aufnahmebereit für die Information, dass Bob nun in der Anderen Welt weilte; sie sollte mir vielleicht auf diese Weise übermittelt werden. Der Gast war wohl ein sympathischer Italiener, doch gleichzeitig war er womöglich auch Bobs Bote, seine Erscheinungsform, — wie jemand, der uns rettet, zwar ein Mensch ist, aber auch ein Engel. Arthur Koestler schreibt in Die Wurzeln des Zufalls auch von den tulpa — materielle Formen, durch die sich Gedanken von Lamas manifestieren. Man könnte alles auf sich beruhen lassen, aber: Sind wir nicht auch Wissenschaftler; wie du, Bob?       

 

 

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