Claude Nougaro

Nach Cyrano noch etwas Französisches. Claude Nougaro war im selben Jahr meiner Mutter geboren, 1929, und 1987 (da war er kaum älter als ich heute) legte er ein fantastisches Album vor: Nougayork. Dazu kommen wir noch, aber erst etwas über Frankreich und die Franzosen, locker daher erzählt.

Ich lernte in der Schule nach Englisch Französisch, und 1976, nach dem Abitur, fuhren wir Schüler mit Autos nach Paris und Südfrankreich. Camus und der Lubéron, Orange, der Pont du Gard und Les-Saintes-Maries, das war legendär. Da hätten wir leben wollen. 

Pont du Gard bei Remoulins

Bei mir hielt sich diese Passion 20 Jahre. Immer wieder lernte ich Franzosen kennen, ich hatte Freunde in Dijon, und ich war 1988 nah dran gewesen, einer der drei Korrespondenten in Paris zu werden. So von 1985 bis 1995 war mir auch die Rockmusik-Szene gut vertraut: Alain Bashung, Jean-Jacques Goldman, Les Rita Mitsouko und mehr.  

Meine Freunde (ein Paar) lebten in einem Häuschen, bürgerlich eigentlich, aber doch irgendwie anders. Das Essen war wichtig, man trank gern, es wurde gekifft, und alles wirkte trotzdem anarchistisch und so, dass augenblicklich ein gewaltiges Chaos ausbrechen konnte. Vom Wesen her sind mir Engländer näher: das Verhaltene, Melancholische, Ironische, Keltische. Dann die Franzosen mit ihrer Rationalität, das ausbalancieret wird durch Irrationalität, eine absolute Passion für die Liebe und ein rationales Pathos.  

Rockmusik war rockig, aber die französische Sprache legte sich quer, doch man muss sie lieben. Heute noch, wenn ich daran denke, spüre ich da ein Gefühlsfeld mit starken Schwingungen, Bashung, Goldman und die anderen, und da war oft etwas Radikales mit drin in Musik und Leben, etwas Zerstörerisches und Selbstzerstörerisches, man spürte eine Suche, die total war und nichts von der Selbstdistanzierung des Engländers hatte.  

Diese Franzosen rauchten viel, und viele Chansonniers sind daran zugrunde gegangen (Yves Montand, Jacques Brel, auch wenn er Belgier war und noch mehr); der Rotwein und der Joint, ach, 1984 hatten wir eine Einladung einer Klasse der Journalistenschule in Paris, es gab Schnitzeljagden und Grillfeste, und selten habe ich mich mehr daheim gefühlt wie in dieser Community von schrägen Vögeln, die sich dann irgendwie und widerstrebend in die bürgerliche Gesellschaft eingliedern mussten, und die französischen intellektuellen Filme leben immer aus dem Gegensatz zwischen Bourgeoisie (Bürger) und Bohème (Künstler). Im radikalen Frankreich gibt es radikale Bürger und radikale Künstler.  

Jedenfalls: Da war eine französische Freundin hier in Baden, ich dachte an Nougaro (er starb dann 2004) und holte mir das alte Album heraus. Ist das toll! Nougayork, der erste Titel, geht ab wie eine Kanonenkugel, Harlem mit dem Fingerschnippen und dem verqueren Rhythmus ist ein Wunder, die Texte von Nougaro sind ein Wunder, so verspielt, und dann kommt das lyrische Schlussstück, Il faut tourner la page. Das muss man sich unbedingt auf Youtube anhören!  

Brücke östlich von Lyon

Man muss alles ändern, eine Seite umblättern (tourner la page), man muss einfach werden, wie die heiligen Seelen, oh yeah! Und dann: 

Il faut faire silence
Traversé d’une lance
Qui fait saigner un sang
Blanc
Il faut tourner la page
Aborder le rivage
Ou rien ne fait semblant
Saluer le mystère
Sourire
Et puis se taire.

Das ist manipogo: Man muss das Geheimnis begrüßen, lächeln und dann – schweigen. Dann gibt es eine kleine Pause, und dann spielt Mark Egan mit dem achtsaitigen bundlosen Bass die Melodie noch einmal, womit das Album schließt, und etwas Schöneres zu hören ist schwer.

 

Ein Kommentar zu “Claude Nougaro”

  1. Regina

    Lieber Manfred,

    ja Frankreich und England! Serge Gainsbourg und Jane Birkin mit dem Lied je t´aime …moi non plus! (war ja in Deutschland im Radio eine Weile verboten..)

    Grüße, Regina