Der Wald Duk-aduk-duk

Was unsere Städte umgibt und grün oder braun ist, nennen wir Natur, aber es ist unterworfene, gepflegte, dressierte Natur. Echte, wilde Natur gibt’s im Fernsehen oder in Büchern, wenn wir virtuell nach Indien, Afrika oder Kanada entführt werden. Da gibt es Phänomene! Darum eine Geschichte über den Wald.

Denken wir erst noch an frühere Beiträge, etwa wie der Flieger Mermoz über den Wolken dahinsegelt am Ende von Himmelsmänner oder an die Erörterungen über Natur in Tiger im Rettungsboot. Nun habe ich den Roman Flamingofeder von Laurens von der Post (1906-1996) gelesen, eine Abenteuergeschichte aus Südafrika, erschienen 1955. Der Ich-Erzähler will mit einem Trupp von acht Afrikanern das Rätsel um das Schiff Stern der Wahrheit lösen, und dazu müssen sie einige hundert Meilen wandern.  

Sie erreichen einen dichten hohen Wald, in den sie nicht eindringen können: Alles ist derart verholzt und versteint, obendrein ausgiebig mit Dornen versehen, dass auch eine Stunde Arbeit mit der Machete keine Öffnung schaffen kann. Resigniert gehen sie kilometerweit am Waldesrand entlang. Endlich finden sie einen dünnen Pfad, der ihnen Einlass gewährt.  

»Der Pfad war zwar alt, aber gut genug. Wie sein Vorgänger war er vom Wild offengehalten worden. Er führte unmittelbar auf den tiefsten Schatten in der luftig dunklen Reihe der Bäume zu und spaltete die Finsternis zwischen zwei Giganten, ohne dass auch nur ein einziger Dorn Tribut von uns forderte. Lieber Gott, was für eine Erlösung das war! (…) Es dauerte eine Zeitlang, bis meine Sinne sich der plötzlichen Verwandlung anpassten. Der Kontrast war am Anfang zu groß: als ich tiefer und tiefer in den Wald eindrang, fühlten sich meine Augen – die an den tanzenden Schimmer draußen gewöhnt waren – seltsam unzulänglich in dieser Welt voll dunkler Blätter, zwischen Stämmen wie die schwarzen Säulen im Tempel von Karnak, auf feuchtem Laub und moosbedeckter Erde. Auch ging es meinen Ohren kaum besser. Sie waren wie zugestopft. Ich konnte nicht mehr das Tappen der Träger hinter mir hören; ich nahm nicht einmal das Lärmen der männlichen Affen wahr. Ja, dieses plötzliche Aussetzen aller geselligen Laute drückte mich derart nieder, dass ich laut Said anrief, der die Kolonne anführte. Seine Antwort ‚Ghadre, Effendi’ fiel so schwach aus, dass ich ihn weit von mir fort wähnte, aber nach ein paar Sekunden tauchte seine Gestalt hinter einem Baum hervor, und ich erkannte, er konnte höchstens ein paar Meter von mir entfernt gewesen sein.  

»Ich hatte Mühe, mir all dies zu erklären, bis ich im Mittag die Lösung fand, als der geringe Schein des Lichtes, das in diesem Waldverlies so beharrlich zurückgewiesen wurde, sich ein wenig verstärkte. Erst jetzt bemerkte ich, dass die Bäume mit kräftigem, federndem Moos dicht umhüllt und mit Girladen aus Druidenflechte behangen waren. Und die Erde zu Füßen der Bäume war nicht nur mit Moos und Blättern bedeckt, sondern auch mit einer Vielfalt von Farren … Nun endlich begriff ich, dass der große Wald Duk-aduk-duk sich mit wohlbedachtem Vorsatz, mit unermüdlicher List und aus Generationen alter Erfahrung gegen jeden eindringenden Laut – von außen wie von innen – ausgepolstert hatte. Nicht das leiseste Flüstern oder auch nur ein Widerschein jenes ungestümen, bestechenden Lichtes aus der irren, fieberhaft tanzenden Welt da draußen sollte diese großen Blätterhäupter stören in ihrer geduldigen Betrachtung einer verlorenen, entschwundenen Welt. Von diesem Moment an begann ich den Wald mit anderen Augen zu sehen.«

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