Auferstehung

Nach Krieg und Frieden und Anna Karenina schrieb Lew Nikolajewitsch Tolstoi (1828-1910) noch einen dritten großen Roman, Auferstehung. Ihn habe ich gelesen, mit Vergnügen. Es geht um einen landbesitzenden Fürsten, der zum guten Menschen wird und Sträflingen, Bauern und armen Familien hilft. Zehn Jahre hat Tolstoi daran geschrieben, erschienen ist er 1899.

Fürst Nechljudow wird in Auferstehung zu einem Gesinnungsgenossen von Fürst Myschkin, dem Idioten in Dostojewskis gleichnamigen Roman (1869 erschienen). In einer Osternacht (Auferstehung) überfällt er ein Mädchen, das er kennt. Er verschwindet, sie wird schwanger. Während das Kind stirbt, gerät Katjuscha, die junge Mutter, in die Prostitution und wird wegen eines Giftmordes, mit dem sie nichts zu tun hat, zu Zwangsarbeit verurteilt. Nechljudow ist zufällig Geschworener. Er erkennt Katjuscha. Allmählich wächst in ihm der Wunsch, zu sühnen.  

Erst führt er auf seinen Ländereien Reformen durch: Er stellt sein Land einfach den Bauern zur Verfügung. Dann bemüht er sich um Katjuschas Begnadigung, um das Los der Gefangenen, indem er seinen Einfluss in höheren Kreisen geltend macht. Er erbittet Katjuschas Verzeihung und verspricht ihr die Ehe sowie, mit ihr nach Sibirien zu gehen. Tatsächlich verkauft er seine Habe und folgt den Verbannten.  

1929 dachte sich Stalin besonders strenge Arbeitslager aus, die Gulags. Von 1925 bis 1955 sollen bis zu 20 Millionen in solchen inhaftiert gewesen sein, und die Zahl der Opfer im ganzen 20. Jahrhundert wird auf unglaubliche 39 Millionen geschätzt. Ja, ich schrieb über einen Roman Tolstois von 1899 und dachte mir nichts dabei … Und dann las ich vor einer Woche die Meldung, dass Nadeschda Tolonnikowa von der Punkband Pussy Riot in ein Arbeitslager nach Sibirien transportiert wurde, 4500 Kilometer von Moskau entfernt, wie Katjuscha. Ihr Mann vermisste sie seit zwei Wochen.  

Das Ende des Romans überrascht. Der Gelehrte Simonson hat sich in Katjuscha verliebt und will sie ehelichen. Nechljudow überlässt ihr die Entscheidung, und Katjuscha entscheidet sich für Simonson – obwohl sie vermutlich Nechljudow liebt. (Auch Frauengestalten Dostojewskis wie Nasasja Filippowna zeichnen sich durch Selbstverleugnung, fast Selbsthass aus.) Der Fürst liest am Ende die ganze Nacht die Bibel und ergötzt sich an den zehn Geboten. Wenn sich alle daran halten würden, könnte man das Paradies auf Erden erwirken.  

So ein Rad fuhr Tolstoi: einen Rover. (Ausstellung in Zürich, ca. 2010)

Man liest es gern. Da ist einer, der handelt, der angesichts des Unrechts alle Hebel in Bewegung setzt. Tolstoi glaubte an das Gute, und wenige Autoren waren einflussreicher und geachteter. Nechljudow erlebt selber eine Auferstehung und verleugnet sich ja auch selbst, indem er Katjuschas Entscheidung so hinnimmt. Ihm geht es um höhere Ziele. Was er nun tun wird, ohne Katjuscha, weiß er nicht. Aber es wird etwas Gutes sein. 

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