Flugverkehr (14): der fliegende Zauberer

Die Ethnologen Paul Stoller und Cheryl Olkes hielten sich jahrelang in Nigeria auf, und Stoller lernte bei einem nigerianischen sorko, einem Zauberer, dessen Handwerk. Ihr Buch heißt In Sorcery’s Shadow (Im Schatten der Zauberei) und erschien 1987. Da erfährt man Erstaunliches.

Djibo nimmt Paul unter seine Fittiche und lässt ihn viele Sprüche auswendig lernen. Dann schickt er ihn nach Tillaberi zu dem sorko Adamu Jenitongo, der auf dem Umschlag abgebildet ist. Er ist schon 95 Jahre alt, lässt sich »Baba« nennen und erzählt seinem künftigen Lehrling aus seinem Leben.  

»Mein Vater, Jenitongo, war der mächtigste Zauberer seiner Zeit. Als ich ein kleiner Junge war, sollte ich nach Vaters Willen dessen Wissen erben. … Ich erfuhr, dass Großvater in Wanzerbe geboren wurde, der großen magischen Stadt der Songai. Aber Großvater kam in das Zerma-Land östlich des Flusses Niger. Dort wurde mein Vater zum Mann und zu einem sohanci [Priester]. 

»Mit der Magie meines Vaters  machte sich unser Vorfahr Sonni Ali unverwundbar gegen Speere und Pfeile. Mit der Magie des Volkes seiner Mutter, der Faru, lernte Sonni Ali Ber fliegen. Wie ein Geier, das Symbol seiner Vorfahren, erhob er sich hoch in den Himmel und legte weite Entfernungen zurück. Der Magische König gab sein mächtiges Wissen an seinen Sohn weiter, Si Baru, der es an seine drei Söhne weitergab, die es an ihre Söhne weitergaben, bis das Wissen zu mir nach Jessey kam.«  

Mit 20 Jahren überkam Amadu die Wanderlust (dieses deutsche Wort ist ins Englische eingedrungen: »… the wanderlust infected me.«). Er reist nach Accra in Ghana, arbeitet schwer im Hafen und wird dann schwer krank. Monatelang liegt er da und wird immer schwächer. Eines Tages wacht er auf und vermisst seinen Kupferring, den er immer am Daumen trug, ihm gegeben vom Vater, um ihn vor Gefahren zu schützen. Einen Augenblick später kommt ein Bekannter und sagt, sein Vater halte es für besser, wenn er heimkehre. Accra sei nicht gut für ihn.  

Adamu tritt die Heimreise an und fühlt sich von Tag zu Tag besser. Er berichtete:

»Ich schlug ein flottes Tempo an und erreichte drei Tage nach der Überquerung des Nigers Jessey. Meine Leute eilten, mich zu begrüßen. Mein Vater, Jenitongo, war der letzte, der mich begrüßte. ›Adamu, willkommen, willkommen‹, sagte er zu mir. Vater ging von mir fort und gab mir Zeichen, ihm zu einer Ecke seines Anwesens zu folgen. ›Du bist in Ghana krank gewesen‹, stellte er fest. ›Ja, Baba‹, sagte ich.  

»Vater lächelte und griff mit der Hand in die tiefe Brusttasche seiner Robe. Er zog meinen Kupfer-Daumenring hervor. ›Hast du das verloren?‹ fragte er, als er ihn mir in die Hand legte. ›Aber woher hast du …‹ ― ›Ich bin nach Accra geflogen, um dich zu retten.‹ ― ›Ja?‹ ― ›Und jetzt weißt du, dass ein echter Sohanci von seinen schnellen Reisen immer einen Beweis mitbringt.‹«

 

(S. 77-80)

 

 

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