Die Sekte

Silvio Berlusconi zieht wieder in den Kampf, in den Wahlkampf. Gestern hat er  seine Bewegung Forza Italia neu auf sich eingeschworen. Die Regierung von Enrico Letta soll weg, meint Berlusconi, der seit 27. November nicht mehr Senator auf Lebenszeit ist; man hat ihm den Posten aberkannt. Da jammerten viele, vor allem viele Frauen, seine Anhängerinnen.  

Verraten wurde er auch noch, der arme reiche Mann. Angelino Alfano, Vizeregierungschef und lange Berlusconis Kronprinz, rief die Nuovo Centrodestra (NCD) ins Leben und trennte sich von Berlusconis Polo della Libertà (PdL). Das sind zwei Schläge, die Berlusconi aber verdauen kann, da er ja angebetet wird. Ich dachte mir plötzlich: Forza Italia, das vor 20 Jahren von ihm gegründete Sammlungsbecken der Rechten (nun wiederbelebt, da es den PdL nicht mehr gibt), gleicht eher einer Sekte als einer Partei.

Ich glaube, Romano brachte mich darauf. Er sagte: »Warum macht Berlusconi immer weiter? Hält er sich für Gott?« Ich dachte an die Politikerinnen und Anhängerinnen, die sich beklagten und schrien und jammerten, weil ihr Guru abgestraft worden war. Berlusconi hat Charisma und benahm sich immer wie der Guru einer Sekte. Alle, die dazu gehören, lieben und verehren ihn. Die Fahne, die Hymne, das Pathos: Forza Italia hat viel von einer Religion.  

Berlusconi, der Religionsgründer, wirbelte herum, machte sich mit seinem Geld alle Türen auf, stellte kaltblütig Leute kalt, die ihn störten, bediente sich seiner Fernsehsender und spielte tatsächlich Gott; zur selben Zeit gab er, der typische Narziss, sich beleidigt und verletzt, weil andere (Richter und Anwälte) es wagten, ihn vor Gericht zu bringen. 57 Prozesse wurden gegen ihn angestrengt. Er fühlte sich natürlich verfolgt. Auch das beobachtet man oft bei Sekten. Im Inneren geht es autoritär zu, aber nach außen hin spielen Guru und Sekte die armen Verfolgten.  

Das führte zu der völlig überzogenen Aussage, er, Berlusconi, und seine Familie fühlten sich verfolgt wie die Juden zur Nazizeit. Seine Anhänger sind oft weiblich und beweisen völlige Unterwerfung und Anbetung. Il Cavaliere ist ihr Heiliger. Da musste man im Fernsehen die Ex-Ministerin Mariastella Gelmini hören oder die amtierende Agrarministerin Nunzia de Girolamo, die sich am 27. November aufführten, als habe man Berlusconi soeben gekreuzigt.  

Der Guru in der Sekte genießt seine Allmacht, und dann passiert es nicht selten, dass er es ausnützt, dass seine weiblichen Gläubigen ihn anbeten. Berlusconi veranstaltete ja lustige Abende mit jungen Prostituierten. Dann steht er wieder vor Zuschauern und begeistert sie. Er ging mehrmals zum Schönheitschirurgen, denn der Guru lebt ewig, wie die Körper der Heiligen im Grab nie verwesten. Berlusconi wird, mit 78 Jahren, weiterhin wie ein böser Geist die italienische Politik verfolgen, für ewige Zeiten.

Ø

A propos Geist: Der 39-jährige Matteo Renzi ist eher ein unruhiger Geist, aber ein Charismatiker mit Rednergabe ist er auch, und so einen hat die Linke Italiens vielleicht noch nie gehabt. Renzi, Bürgermeister von Florenz, ist gestern mit überwältigender Mehrheit zum neuen Parteichef des PD (Partito Democratico) gewählt worden: in einer Mitgliederbefragung. Er gefährdet mit seinem Ehrgeiz die Letta-Regierung von links, wie Berlusconi mit seinem Beleidigtsein sie von rechts gefährdet. Aber Renzi wird vielen gefallen, vor allem Frauen.

Ich hätte lieber den sanften, zurückhaltenden Cuperlo gehabt; irgendwie übertreibt es Renzi mit seinem ärmelhochkrempelnden Showmanstil, er scheint dauernd unter Adrenalin zu stehen, aber gut, die Linke hatte sonst immer Anführer, die unter Beruhigungsmitteln zu stehen schienen. Da fängt vielleicht eine glückliche Phase linker und vor allem linker pragmatischer Politik in Italien an.   

 

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