Schwindelfrei

Ja, und dann lief vergangenen Sonntag der Tatort Schwindelfrei mit Ulrich Tukur im Ersten. Dann können wir ja mit unseren Krimibetrachtungen gleich weitermachen, anschließend an die Überlegungen zum Dampfnudelblues von gestern.

Auch dieser Tatort war ambitioniert. Die Zirkuswelt, warum nicht? Felix Murot (Ulrich Tukur), der Kommissar, taucht in diese wunderliche Welt ein, und auch das konnte gefallen. Wieder galt das Augenmerk der Atmosphäre und dem Filmischen, und die Handlung war eigentlich nur Vorwand. Was mit der Frau geschah, die verschwand und was mit Charlie, der auch verschwand, erfahren wir gar nicht richtig. Sie wurden tot in den Gully gekippt, und weg waren sie. Aber dafür gibt’s einen effektvollen Schluss, Tukur tritt als Clown auf und rezitiert ein Gedicht, und der böse Pascha gesteht seine Taten in der offenen Manege. Was für ein Finale! 

Regisseure wollen eben schönes Kino machen, und der Krimi ist das Vehikel dazu. Die Tatorte werden immer künstlicher, nicht unbedingt künstlerischer. Der Krimi ist das Format, das möglich ist, und man muss eben das Beste herausholen (oder hineinstecken), um sich künstlerisch ausleben zu können. In Diktaturen ist vieles verboten, und man muss seine Botschaften gut verstecken; in unserer Gesellschaft herrscht das Diktat des Marktes, des Konsums, und auch da kann man seine Motive ausspielen, wenn man sich an das gängige Format hält: an den Krimi.  

Es gibt schon so viele, geschriebene und verfilmte, dass irgendwann alles Krimi sein wird. Dieses Genre kannibalisiert sich selbst. Ein gutes Beispiel ist der Western, mit dem es 1903 begann. Westernfilme hatten von den 1930-er bis in die 1950-er Jahren ihre große Zeit, als John Ford Meisterwerke schuf. Dann war das Genre durch Schwarz-Weiß-Malerei erschöpft; Ende der 1960-er Jahre belebte es Sam Peckinpah mit neuer Härte, die Spaghetti-Western brachten Ironie in die Sache, und heute gibt es nur noch gelegentlich sogenannte Spätwestern, die nichts mehr mit den ursprünglichen Motiven (die Eroberung; der Mann an der Grenze) zu tun haben. Der Western war nur noch Zitat.   

Auch der Schwindelfrei-Regisseur zitierte den Krimi (am Anfang: Tukur sieht einen Tatort) nur und wollte eigentlich die Geschichte eines Mannes erzählen, der krank war und in eine ihm fremde Welt eintaucht, um damit wieder in die Welt zurückzufinden. Kommissar Murot verpflichtet sich also als Pianist in der Zirkusband. Ich dachte mir: Hey, darf der das? Ja, er war ein freier Mann. Plötzlich war man weg von diesem Polizistenmilieu. Immer dieses Beamtenambiente! Wir Deutschen gelten ja schon als ordnungsliebend und obrigkeitshörig, und dann setzt man uns noch dauernd, jeden Sonntagabend, Geschichten von Ordnungshütern mit Pensionsberechtigung vor. Öffentlich-rechtliche Fernsehbeamte geben Filme über Polizeibeamte in Auftrag.

Man würde auch gern einmal einen armen Privatdetektiv wie Philip Marlowe sehen (100 Dollar am Tag plus Spesen) oder einen unterbeschäftigten investigativen Journalisten, einen neugierigen Rentner oder eine Hausfrau mit kriminalistischem Gespür.  

Jedenfalls sind in diesen Filmen viele Klischees nicht mehr möglich und haben sich abgelebt, und so muss man neue Wege gehen, will man die Aufmerksamkeit wachhalten. Da müssen die Zuschauer schwindelfrei sein, und Abstürze sind immer drin.  Man spürt, wie die Kreativität am Krimi-Genre zerrt und zieht, wie sie es zersetzt und sprengen will. Der Kunstwille schlägt sich mit einer Form herum, mit einem Format, und das geht so lange gut, so lange die Einschaltzahlen stimmen.   

 

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