Entschwundene Poesie

»Mit dem Segelschiffe ist ein gut Theil Poesie des Seelebens für immer geschwunden«, sagte einmal ein preußischer Admiral. Das war schon im Jahr 1869. Zeichnen wir kurz die Entwicklung vom Segelschiff zum Dampfschiff nach, wie sie uns Helge Gerndt 1971 in seiner Dissertation Fliegender Holländer und Klabautermann schildert.

Robert Fulton erprobte bereits 1807 auf dem Hudson ein dampfgetriebenes Schiff. Die Savannah aus den Staaten erreichte 1819 in 26 Tagen unter Dampf Europa. 1839 wurde in England die Cunard Steamship Company gegründet. Zehn Jahre später durften erstmals Schiffe aus aller Herren Länder ohne Einschränkung die britischen Inseln anlaufen, außerdem war in Europa die Bevölkerung angewachsen, und durch die Industrialisierung waren Güter gefragt.  

Die Frachten bis 1870 nach England verdoppelten sich fast, und das »dampfgetriebene Eisenschiff« verschaffte den Inseln und Deutschland einen Vorteil gegenüber Frankreich und den USA. Um 1880 wurde schon die Hälfte der Handelsgüter auf See von Dampfschiffen transportiert In manchen Ländern, etwa in Norwegen, fuhren 1880 noch 90 Prozent Segelschiffe, und auch Anfang des 20. Jahrhunderts waren sie auf den Weltmeeren vertreten.  (Illustration: Waterfront San Francisco, 1900; Library of Congress, Washington D. C.)

Gerndt schreibt, der Matrose verliere »das Bewusstsein, durch ständigen persönlichen Einsatz die Reise mitzuentscheiden«. Es habe geringschätzig geheißen: »Nu kann jo jeder Buerknecht to See fohren.« Die enge Schicksalsgemeinschaft der Besatzung lockerte sich; die »Hast der modernen Arbeitswelt« wurde spürbar. Irgendwann war es auch mit den großen Segelreisen über den Atlantik für Passagiere vorbei.  

Fukeiga von Hiroshige Ando (1797-1858), Library of Congress, Wash. D. C.

Dabei denke ich natürlich an die derzeitige Entwicklung vom Fahrrad hin zum Pedelec. Mein Freund Winnie fährt immer mal wieder einen Tag zu einem Hersteller, um in einen Motor eingeweiht zu werden. Nun geht es mir wie dem Kapitän, der mit seinem Schiff immer wieder von motorgetriebenen Gefährten überholt wird und sich sagt: »Nun kann ja jeder Rentner eine große Radtour machen.«  

Doch vergessen wir nicht: So wie gleichzeitig mit dem Rad das Automobil entstand (1885/6), so gab es gleichzeitig mit dem Triumph der Motorschiffe über die Segelschiffe die ersten erfolgreichen Flugversuche (Anfang des 20. Jahrhunderts). Das Auto überflügelte so das Rad, wie das Flugzeug danach die Schiffe überflügelte. Die alten Transportmittel verschwinden jedoch nicht, sondern werden nur zu Freizeitvehikeln. Wer sich heute ungeschützt in Wind und Wetter auf dem Meer oder dem Land herumtreibt, muss ein Spaßvogel sein oder einer, der viel Zeit hat.

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