Lucy schaut vorbei

Anfang Juli las ich das Buch Whispers of Immortality von Samuel C. R. Alsop, einen dünnen, 1989 erschienen Band über Tonbandstimmen-Experimente. Darin war eine überirdisch schöne Liebesgeschichte, die ich nacherzählen muss. Solche Geschichten zwischen Hier und Dort gibt es, und viele: Ich könnte eine Serie daraus machen.

Der Engländer Alsop war 47 Jahre alt, als er 1979 seine Arbeit verlor. Was tun? Er erinnerte sich an das Buch Breakthrough (deutsch: Unhörbares wird hörbar) von Konstantin Raudive mit dessen Tonbandexperimenten. Dieser lettische Autor brachte Tausende dazu, sich ans Tonband zu setzen und weißes Rauschen aufzunehmen, um hinterher die Stimmen von Toten herauszuhören, wenn da etwas war. Samuel Alsop fängt an und kann nicht mehr aufhören. Nächtelang lässt er sein Gerät laufen.  

Sechs Monate ohne Erfolg. Dann im März 1980 plötzlich eine Stimme: »I AM NATASHA.« Nun wird es ernst. Er denkt zurück: Wie er 1948, als 16-Jähriger, eine Lehrerin der Sonntags-Methodistenschule kennenlernte, Lucy Elizabeth Price. Sie lächelte ihn an und sagte »Hello«, und Sam war verliebt. Er war schüchtern, dann kam das Militär, und die Beziehung entwickelte sich nicht recht. Dann verloren sie sich aus den Augen. Er schreibt nicht, woher er wusste, dass Lucy gestorben war. Doch er beschwört Natasha, ihm Lucy zu finden.   

Natasha verspricht: »WE WILL FIND.« Und am 11. Februar 1981 um ein Uhr morgens (mein Geburtstag, by the way) sagt sie: »GOOD MORNING … THIS IS NATASHA LINKING.« Eine atemlose andere Stimme fällt ein: »SAM … SAM … IT’S ME … LUCY.« Im Buch folgen nun neun Seiten mit Transkripten: seine Fragen, ihre (kurzen) Antworten, Dialoge zwischen dem 5. September und dem 5. Oktober 1982, die in dem Austausch gipfeln: »›Lucy, do you understand what I am saying?‹ — ›LOVE ME.‹ — ›My heart always beat a little faster whenever I saw you, Lucy.‹ — ›AND MINE DID.‹«   

Illustration: Rolf Hannes

Samuel Alsop gesteht: »Auf fast allen Aufnahmen, die diesem ersten Kontakt folgten, schaffte es Lucy immer, auf meinen Bändern durchzukommen, und nach den Jahren mit den Experimenten glaube ich, dass sie die Lady ist, die vor so vielen Jahren mein Herz eroberte.« Am 12. August 1983 besucht sie ihn. Sam liegt im Halbschlaf auf dem Bauch, als eine dunkel verschattete Person sein Zimmer betritt. Der Schatten setzt sich auf ihn und drückt auf seine Hüften. Er windet sich, versucht den Eindringling abzuschütteln, etwas wie ein Reißen von Stoff hört er, dann ist der Schatten fort.  

Am Tag danach hört er über Band eine Frauenstimme sagen: »SAM LUCY PRICE CAME … I SIT ON SAM’S HIP … SAM YOU FIGHT … UNION YOUR LIVES … ME DO SCRATCH.« Sie sagte, sie sei zu ihm gekommen, sei auf seiner Hüfte gesessen, er habe gekämpft, und sie spürte wohl auch, wie er sie gepackt und gekratzt hatte, aber sie nahm es ihm nicht übel. Dann kam später im Monat auch noch Natasha vorbei zu einem Kurzbesuch – ein schattenhafter Geist, bestreut mit Glitzerpartikeln, wie sich Sam erinnerte. Vielleicht war sie ja nur eifersüchtig.  

Nun sind wieder viele Jahre vergangen. Im Vorwort zu dem Buch Electronic Voices von Anabela Cardoso (2010) schreibt Professor David Fontana, 1989 sei er auf das erwähnte Buch des verstorbenen Samuel Alsop aufmerksam geworden, und seine Tochter Gillian habe ihn Beispiele anhören lassen. Der gute Sam ist also schon längst mit seiner Lucy Elizabeth Price vereint.

 

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