Haben

Schwierig, nach den östlichen Weisheiten der vergangenen Tage wieder auf die Erde zurückzukehren! Man müsste besser leben (moralisch besser) und mehr lieben … und ich dachte mir, eigentlich sind es der Egoismus und die Besitzansprüche, die viele unglücklich machen. Ich fand dazu auch etwas.

Theodor W. Adorno (1903-1969),  der Frankfurter Philosoph, verbrachte die Kriegsjahre im Exil in den Vereinigten Staaten. Da schrieb er in den Jahren von 1944 bis 1946 kleine Aufsätze, die er dann als die Sammlung Minima Moralia erscheinen ließ, und wer Adorno kennenlernen will, sollte damit anfangen. Die beiden Stücke, die ich erwähne, sind aus dem Jahr 1944. Manche Beiträge, die oft nur eine Seite lang sind, lesen sich sehr aktuell; die USA prägten sich uns ja auf, und noch heute tun sie es.  

Einer der berühmtesten Sätze von Adorno lautet: »Es gibt kein richtiges Leben im falschen.« Es ist der letzte Satz des zweiseitigen Aufsatzes Asyl für Obdachlose. Darin geht es ums Wohnen. Die alten Wohnungen seien unerträglich geworden, »jede Spur der Geborgenheit« in ihnen sei »mit der muffigen Interessengemeinschaft der Familie erkauft« worden. Die neu-sachlichen Wohnungen seien »ohne alle Beziehung zum Bewohner«.  

Aufgenommen In Ottmarsheim (Elsass)

Man sei »nicht bei sich selber zu Hause«, und die Kunst bestünde darin, auszudrücken, »dass das Privateigentum einem nicht mehr gehört, in dem Sinn, dass die Fülle der Konsumgüter potentiell so groß geworden ist, dass das Individuum kein Recht mehr hat, an das Prinzip ihrer Beschränkung sich zu klammern.« Aber man brauche eben Eigentum, um unabhängig zu sein. Jedenfalls: Es gibt kein richtiges Leben im falschen. Damals, 1944, waren Kommunismus und Kollektivismus eine echte Drohung, und die Nachrichten aus Europa mussten zu einer Endzeitstimmung führen.  

Doch dann denkt man nach und hält es selber für absurd, dass man Dinge besitzt. In einem kleinen Arabisch-Lehrbuch heißt es: »Das Zeitwort ›haben‹ gibt es im Arabischen nicht.« Ich habe wird ausgedrückt als bei mir ist. Und in einem anderen Buch steht: »Im Ungarischen gibt es kein Verb, das dem deutschen ›haben‹ entspricht.« Man sagt dann etwa Dem Peter sein Auto ist es 

Dann schreibt Adorno am Schluss des Jahres 1944 über Moral und Zeitordnung. »Einmal ganz Besitz geworden, wird der geliebte Mensch eigentlich gar nicht mehr angesehen. …Dies Festhalten verliert gerade sein Objekt aus den Händen, indem es zum Objekt gemacht wird, und verfehlt den Menschen, den es auf ›meinen Menschen‹ herunterbringt. Wären Menschen kein Besitz mehr, so könnten sie auch nicht mehr vertauscht werden. Die wahre Neigung wäre eine, die den anderen spezifisch anspricht, an geliebte Züge sich heftet und nicht ans Idol der Persönlichkeit, die Spiegelung von Besitz.« 

Adorno meint: »Zum Besitzverhältnis am Menschen, zum ausschließenden Prioritätsrecht, gehört genau die Weisheit: Gott, es sind alles doch nur Menschen, und welcher es ist, darauf kommt es gar nicht so sehr an. Neigung, die von solcher Weisheit nichts wüsste, brauchte Untreue nicht zu fürchten, weil sie gefeit wäre vor der Treulosigkeit.« So genau steht das in meinem Suhrkamp-Taschenbuch. Aber man sollte genau hinschauen, auch große Geister können irren und Verlage ebenso. Müsste da nicht stehen: »Neigung, die von solcher Weisheit wüsste, brauchte Untreue nicht zu fürchten« ..? (S. 89, suhrkamp tb, 2003) Dann stimmt es.

 

 

 

2 Kommentare zu “Haben”

  1. Regina

    Lieber Manfred,
    die Indianer wussten schon: „Unser Gott ist derselbe Gott – Ihr denkt vielleicht, ihn zu besitzen – aber das könnt ihr nicht. Er ist der Gott der Menschen – gleichermaßen der Roten und der Weißen“.
    Und warum der Mensch diesem oder jenem Menschen zugeneigt ist, ist die Geschichte derer! Und es stimmt dann doch, wenn Adorno sagt: „Neigung, die von solcher Weißheit nichts wüsste, brauchte Untreue nicht zu fürchten“… Die Liebe und die betreffenden Menschen wissen davon und fragen nicht darnach, weils Gründe und Bedingungen und Besitz nicht gibt!
    Und ich finde deutsche Grammatik ätzend. Aber eigentlich bedeuten beide Sätze doch dasselbe (Logik) – eben mit dieser grammatikalischen Hürde – die ggs. Diskonjunktion! – aber müsste es dann nicht „bräuchte“ im Nebensatz heißen??? kA – ciao, Regina

  2. web108

    Liebe Regina! Bräuchte, schon richtig, und mit dem anderen hast du vermutlich auch recht. Wenn ich sage: Egal, wer es ist, es ist jemand, und er gehört mir, dann definiert das bei Adorno den Besitz; wenn dieser Mensch aber ALLES für mich ist, ja, dann kann er mir nicht gehören, sondern eher gehöre ich ihm (an), ich gehöre zu ihm, und ich kann diesen Menschen nicht verlieren, weil ich in ihm bin. Vielleicht habe ich das zu eng gesehen, danke sehr für diesen Gedanken! Servus Manfred.