Palermo

Die Campingplatzchefin gab eine gute Einführung zu Palermo. Man konnte mit dem Zug hin, für 4,50 Euro hin und zurück. Mit 4,50 kommt man in München gerade ein paar Kilometer weit. Der Bahnhof Isola delle Femmine ist etwas ruinös, aber der Zug von Punta Raisi, dem Flughafen, in die Stadt, war pünktlich. Also hinein!

Ein paar Meter vom Aussteigebahnhof liegt schon der Palazzo Reale aus der Normannenzeit. Die königlichen Gemächer waren leider nicht zugänglich, aber dafür die Cappella Palatina, von König Roger gewollt, wofür er arabische, jüdische und christliche Künstler und Handwerker anheuerte. Die Normannen waren tolerant und ließen alle gewähren. Nachdem die arabischen Sarazenen von 831 bis 1047 geherrscht hatte, waren die Normannen dran, bis um 1190 der Staufer Heinrich VI. einfiel und schrecklich wütete.

April und Mai ist die Zeit der Schulausflüge. Das heißt, hunderte Schulkinder schieben sich durch Museen, nur an ihren iPhones und Handys interessiert, aber einen Anfang mit der Kultur muss man machen. Die Kapelle ist ganz in Gold und in Mosaik, viele Bögen und Architrave, Abbildungen aus der Bibel, Heilige und Tiere, Inschriften in Latein und Griechisch, und Mönchsgesänge im Hintergrund, die aber im Gelärme der Menge untergehen. Dann geht man, läuft durch Gassen und Straßen, aber wie ist das zu schildern? Palermo ist verrottet, heruntergekommen, aber das war vor 20 Jahren schon so.

Die Fassaden sind in blassem Orange und abgeblättert. Dann steht man plötzlich in einer Gasse, überall diese Balkone mit Stahlgeländer, auf denen die Wäsche im Wind trocknet, in einer Ecke ein Bild von Jesus, beleuchtet, mit Inschrift. In all den Kirche sieht man, dass der leidende Christus das beliebteste Motiv ist. Maria ist in den Hintergrund gedrängt, anders als an der spanischen Ostküste oder in Bayern. Und Christus leidet in Palermo sehr, ist blutüberströmt, und sogar seine Knie sind blutig, als wäre er vom Kreuz gestürzt.

Ich verlief mich wie üblich, fragte eine Frau, und sie sagte, an der nächsten Ecke beginne das Viertel Ballaro. Ich ging zur nächsten Ecke – und blieb verdattert stehen. Mir fehlten die Worte. Über die Straße waren Hunderte rosa Wimpel für den Fußballklub AS Palermo aufgespannt, überall diese zerstörten Gebäude, als sei der letzte Krieg gerade zehn Jahre her (Palermo war bombardiert worden, vor 70 Jahren, wobei viel zerstört wurde). Und dann ging es dunkel hinein in eine Art Souk wie in Kairo, und ich ging los. Alle schrien fave (Bohnen) oder fragole (Erdbeeren), nach dem langen dunklen Durchgang lag da der Schädel eines Riesenthunfischs mit leeren toten Augen, daneben bunte, gescheckte tote Seeschlangen, und überall Früchte und alles, und man fühlte sich wie in einer Stadt nach einem Krieg.

Ich kaufte zwei Äpfel, hey, sagt ein junger Mann, schau, da sind zwei, die haben in Stuttgart gewohnt, und einer hat dort an der Weltmeisterschaft der deutschen Schäferhunde teilgenommen, ach wie toll, und ein Cousin wohnt in Hagen, und da ist noch einer … dann Piazza Bologni, ein junger Mann vor einem Museum rät mir zu einem anderen Markt, mehr palermitanisch, denn Ballaro ist eher arabisch und asiatisch. So läuft man herum, und noch eine Kirche mit leidenden Christi, und am Ende, vor der Rückfahrt, eine Kirche des Deutschen Ordens, 1150 errichtet, schön, denn ich wohne ja bei Heitersheim, wo die Johanniter waren, ein alter Templerorden.

Dann mit dem Zug zurück. Könnte man hier leben? Ja, meine ich. Ich kam durch Gassen, und in einem dunklen Zimmer saß ein junger Asiate mit seiner Frau, woanders kommen alte orientalische Frauen vorbei, Palermo ist Orient, ist verwüstet und kaputt, aber die Leute leben. (Ich sitze hier am Boden neben dem Waschraum des Campingplatzes, darum ist das sicher nicht ein großer Essay, aber Palermo ist so, eine Ruine, die trotzdem lebt.)

Ein Kommentar zu “Palermo”

  1. Marianne Raffler

    Hallo Mani,
    es ist immer wieder schön, deine Reiseberichte/Geschichten zu lesen. Wünsche dir noch viele nette Eindrücke und Erlebnisse in Bella Italia – ich reise morgen mit dem ICE auf die Insel Rügen.
    Bis bald mal
    Marianne