Vampirismus

Erice, die schöne alte Stadt, in Siziliens Nordwesten auf 750 Metern Höhe gelegen, war mein Ziel. Es war ein Sonntag, und natürlich überholten den schwerbeladenen Radfahrer auf den Serpentinen ein Dutzend Reisebusse, und in der Stadt dann kamen ihm Gruppen entgegen, die englisch, französisch oder deutsch sprachen.

Wenn man nicht so genau hinsah, konnte man Erice mit San Marino verwechseln, auch so eine wehrhafte Stadt in den Bergen mit altem Gemäuser und Kirchen und Torbögen, gelegen allerdings bei Rimini an der Adria. Da war ich vor einem Jahr gewesen, und zufälligerweise war der Ort voller Touristen.

Wo viele Touristen sind, wird es schnell bunt und kitschig, weil der Unternehmer das Auge des flüchtigen Reisenden auf sich ziehen will. Schnell wird es halbseiden und unseriös, die ganze Stimmung eines Ortes, der im November in strenger Würde daliegt, rutscht ins Lächerliche. Und dann diese Raffer-Mentalität! Drei Mal bekam ich Pizza, die immer identisch groß war, nur anders belegt. Fertig-Pizza für 9 Euro. Der Pizzaiolo ist nur noch Staffage. Nun esse ich eher Spaghetti.

Es ist übrigens immer erhebend, an der Piazza Venezia in Rom das Ensemble der Kirchen und Monumente so bedrohlich dastehen zu sehen, aber am Bahnhof Termini, wo die Doppeldeckerbusse mit ihrem Versprechen hop on and off werben, wirkt Rom wie Disneyland.

Alles wird Disneyland

Bald wird ein touristischer Ort nicht mehr zu unterscheiden sein von seiner Nachbildung im Europapark in Rust, und vielleicht wirkt diese sogar echter und stimmungsvoller als das Original. Denn die Originale sind geschändet worden. Die Touristen sind wie Vampire, die den kulturellen Unterschied aufsaugen (meint Hakim Bey), und dadurch verliert der Ort seine Kraft; die Bewohner werden zynisch und geldgierig und tragen mit dazu bei, dessen Zauber zu vernichten.

Pierpaolo Pasolini, der am 1. November 1975 am Bahnhof Termini seinen Mörder ins Auto einlud, sah schon Anfang der 1970-er Jahre klar. Das Fernsehen und das Automobil würden die Volkskultur zerstören. Damals konnte man den Verlust noch spüren, heute jedoch ist alles von den Medien hypnotisiert, weil sie das tausendfältige Auge bereitstellen, mit dem wir uns beobachten lassen und uns gespiegelt sehen, doch es ist Trug, worauf Pasolini hinwies: Fernsehen ahmt das Leben nur nach, ist manipulierend, auch wo es live ist. Und Tourismus ahmt Dabeisein nach, Autofahren Unterwegssein, doch alles ist schädlich und Vampirismus.

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