Das Lied der Lieder

Honigkuss hieß ein Beitrag vor einem halben Jahr über die Liebe zwischen Mann und Frau und Mensch und Gott, und an Ibn Arabî (1165-1240) hatte ich erinnert, und nun fand ich plötzlich, dass das Hohelied in der Bibel aus dem 1. Jahrhundert nach Christus wunderbare Liebeslyrik ist.

Da heißt es im Vorwort meiner Bibel: »Bei keinem alttestamentlichen Buch klaffen die Auslegungen so weit auseinander wie hier.« Die neue Meinung schreibt das Buch dem Kult um die Fruchtbarkeitsgöttin Astarte zu, und verherrlicht werde die Liebe zwischen Mann und Frau. »Älter jedoch ist die allegorische Auslegung: Die Liebe Gottes zu seinem Volk wird dargestellt unter dem Bild der Liebe zwischen Eheleuten.« So rettete sich auch Ibn Arabî tausend Jahre später.

Das Hohelied oder Lied der Lieder hat nur acht Kapitel, die fünf Seiten ausmachen. Es beginnt so: »Mit Küssen seines Mundes bedecke er mich, / Süßer als Wein ist deine Liebe. Köstlich ist der Duft deiner Salben …« Auszüge:

»Du, den meine Seele liebt, / sag mir: Wo weidest du die Herde? / Wo lagerst du am Mittag? … Mein Geliebter ruht wie ein Beutel mit Myrrhe an meiner Brust.  … In das Weinhaus hat er mich geführt. / Sein Zeichen über mir heißt Liebe. / Stärkt mich mit Traubenkuchen, / erquickt mich mit Äpfeln; / denn ich bin krank vor Liebe. / Seine Linke liegt unter meinem  Kopf, / seine Rechte umfängt mich. / Bei den Gazellen und Hirschen auf der Flur / beschwöre ich euch, Jerusalems  Töchter: Stört die Liebe nicht auf, / weckt sie nicht, /bis es ihr selbst gefällt.«

»Nordwind, erwache! Südwind, herbei! Durchweht meinen Garten, / lasst strömen die Balsamdüfte! Mein Geliebter komme in seinen Garten / und esse von den köstlichen Früchten. … Ich komme in meinen Garten, Schwester Brasut; / ich pflücke meine Myrrhe, den Balsam; / esse meine Wabe samt dem Honig, / trinke meinen Wein und die Milch. / Freunde, esst und trinkt, / berauscht euch an der Liebe!«

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