Gelächter für die Möwe

Bleiben wir noch bei Tschechow. Mein Buch ist jetzt ja draußen, aber ob es Anklang findet, sieht man in den nächsten Monaten, wenn nicht Jahren. In Jahrzehnten? Theaterautoren haben da ein sofortiges Feedback: Triumph oder Durchfall. Aber auch ein durchgefallenes Stück kann noch reüssieren.

Anton Tschechow schrieb das Theaterstück Die Möwe im Herbst 1895 auf dem Landgut Melichowo, das er drei Jahre zuvor erworben hatte. Das Stück fängt stark an, endet aber pianissimo. Sehr melancholisch ist es; die Möwe meint vermutlich die Schauspielerin Nina, in die Trigorin verliebt ist und auch der Autor Trepljew, der am Ende alle seine Manuskripte verbrennt und sich erschießt. (Darauf wird auch in meinem Buch angespielt, weil ich die Möwe so liebe.)

Tschechow suchte ein Theater, das das Stück aufführen würde. Er vertraute es dem Alexandrinsky-Theater in Petersburg an, das einen Benefizabend für seine Schauspielerin E. I. Lewkejewa plante, eine dickliche Komödiantin, die das Stück gar nicht las. (Zum Glück spielte sie nicht mit.) Die Aufführung sollte am 17. Oktober 1896 sein, und erst am 8. Oktober befassten sich die Schauspieler mit dem Text. Tschechow war bei den (zwei) Proben dabei und hielt, was er sah, für »leblos«.

Das Theater war an jenem Abend voll von den Bewunderern Lewkejewas. Sie waren entschlossen, sich amüsieren zu wollen. Es wurde ein Fiasko. Gleich in der ersten Szene gab es Lacher; auch, als Sorin im Rollstuhl auf die Bühne kam. Jede Kleinigkeit war Anlass zu Gelächter. Bei Ninas dramatischem Monolog bogen sich die Zuschauer unbegreiflicherweise vor Gelächter. Der zweite Akt lief besser, auch wenn der Darsteller des Trigorin wenig überzeugen konnte.

Im dritten Akt wurde schon wieder gelacht, als Trepljew mit einer Kopfbandage auftrat. Danach betrat Tschechow mit kalkweißen Gesicht das Büro des Theaterchefs und sagte: »автор провалился.« Autor durchgefallen! Dann verließ er das Theater und Petersburg. Die Zeitungen attackierten am nächsten Tag den Autor, der sich auf sein Landgut zurückzog und schwur, nie mehr etwas fürs Theater schreiben zu wollen.

Doch zwei Jahre später, am 17. Dezember 1898, war die Möwe am Moskauer Kunst-Theater, gegründet von Nemirowitsch-Dantschenko und dem berühmten Schauspieler Stanislawski, ein Erfolg. Dieser konnte sich kaum noch erinnern. Am Ende, als der Vorhang gefallen sei, habe eine totenähnliche Stille geherrscht. Tschechows Frau schluchzte, ein paaar Seufzer waren im Publikum zu hören – und dann brach unerhörter Applaus los. Die Schauspieler waren überglücklich und wussten nicht, wie ihnen geschah; jeder küsste jeden. Das war der Beginn des Erfolgs der Möwe, und Tschechow war nicht dabei.-Er hielt sich zur Erholung auf Yalta auf.

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