K. und Frieda

Gestern wurde ja Kafka erwähnt, dieser außergewöhnliche Autor, der in Prag bei einer Versicherung arbeitete und dann 1924 an Tuberkulose starb. Er hatte zwar seinem engen Freund Max Brod (1884-1968) gesagt, er solle nach seinem Tod die Romane verbrennen, was dieser jedoch nicht tat, zum Glück für uns.

Entgegen der allgemeinen Ansicht von Nicht-Kafka-Lesern ist dessen Werk keinesfalls deprimierend oder gar hoffnungslos. Es ist sehr rätselhaft und dennoch in kristallklarer und präziser Sprache geschrieben. Vor allem gibt es viele humoristische Passagen, und man weiß, dass bei Lesungen Kafkas aus seinen eigenen Werken im Publikum viel gelacht wurde. Burlesk sind einige Szenen, und andere sehr sinnlich. Es gibt viele Liebesaffären, und die Figuren des Romans berühren sich andauernd. Wenn man Kafka liest, gerät man in einen eigentümlichen Schwebezustand, weil das Seltsame, das er beschreibt, so real beschrieben wird.

Zur Einführung eine kurze turbulente Szene aus dem Roman Das Schloss. Der Landvermesser K., die Hauptperson, muss sich unter einem Pult verstecken; der Besitzer des Wirtshauses kommt herein und fragt, wo K. sei, und das Ausschankmädchen Frieda, das sich für K. interessiert, verleugnet ihn. Der Wirt geht hinaus.

… schon hatte Frieda das elektrische Licht ausgedreht und war bei K. unter dem Pult. »Mein Liebling! Mein süßer Liebling!« flüsterte sie, aber rührte K. gar nicht an, wie ohnmächtig vor Liebe lag sie auf dem Rücken und breitete die Arme aus, die Zeit war wohl unendlich vor ihrer glücklichen Liebe, sie seufzte mehr als sang irgendein kleines Lied. Dann schrak sie auf, da K. still in Gedanken blieb, und fing an wie ein Kind ihn zu zerren: »Komm, hier unten erstickt man ja!« Sie umfaßten einander, der kleine Körper brannte in K.s Händen, sie rollten in einer Besinnungslosigkeit, aus der sich K. fortwährend, aber vergeblich, zu retten suchte, ein paar Schritte weit, schlugen dumpf an Klamms Tür und lagen dann in den kleinen Pfützen Biers und dem sonstigen Unrat, von dem der Boden bedeckt war. Dort vergingen Stunden, Stunden gemeinsamen Atems, gemeinsamen Herzschlags, Stunden, in denen K. immerfort das Gefühl hatte, er verirre sich oder er sei so weit in der Fremde wie vor ihm noch kein Mensch, einer Fremde, in der selbst die Luft keinen Bestandteil der Heimatluft habe, in der man vor Fremdheit ersticken müsse und in deren unsinnigen Verlockungen man doch nichts tun könne als weiter zu gehen, weiter sich verirren.«

Klamm, ein wichtiger Sekretär des Schlosses, fragt, wo Frieda sei; sie antwortet, sie sei beim Landvermesser. Dann ist Klamm still.

»Aber K. erhob sich, kniete neben Frieda und blickte sich im trüben Vormorgenlicht um. Was war geschehen? Wo waren seine Hoffnungen? Was konnte er nun von Frieda erwarten, da alles verloren war? Statt vorsichtigst, entsprechend der Größe des Feindes und des Zieles, vorwärtszugehen, hatte er sich hier eine Nacht lang in den Bierpfützen gewälzt, deren Geruch jetzt betäubend war. »Was hast du getan?« sagte er vor sich hin. »Wir beide sind verloren.« – »Nein«, sagte Frieda, »nur ich bin verloren, doch ich habe dich gewonnen. Sei ruhig.«

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