Heilung bei den Kalahari-Kung

Der Amerikaner Richard Katz, heute Professor in Saskatchewan, betrieb von 1964 bis 1968 Feldforschung bei den !Kung in der Kalahari-Wüste, heute zwischen Namibia und Botswana gelegen. Sein Buch Boiling Energy (kochende Energie) schrieb er erst 1982; darin geht es um die Heilzeremonien des Stammes.

Und nun klingt es wie eine Geschichte aus ferner Zeit. Katz schildert gegen Ende des Buches, wie die Ökonomie des Geldes von überall her eindrang. Die Heiler wollten plötzlich Geld, behandelten gesonderte Patienten, und das ganze Leben des Stammes, der früher nur aus Jägern und Sammlern bestand, veränderte sich. Das seßhafte Leben führte allmählich dazu, dass den Frauen ein geringerer Status zugeschrieben wurde, und der Stamm verlor allmählich seine Solidarität. Wie mag das heute sein, nach weiteren dreißig Jahren? Man will es gar nicht wissen.

Noch in den 1960er Jahren beschenkten sich die Mitglieder gegenseitig. Sie waren voneinander abhängig, gingen gemeinsam auf die Jagd, redeten und feierten. Regelmäßig wurden Tänze abgehalten, und am berühmtesten war der Giraffen-Tanz. Meist fing es in der Dämmerung an, Frauen sangen, Trommeln erklangen, und bis in den Morgengrauen tanzten sich fast alle in Trance.

Dieser veränderte Bewusstseinszustand heißt kia (die !Kung hatten aber nie eine Schriftsprache), und dabei entsteht num, die Energie, die im Inneren emporsteigt. Das tut weh, die Tänzer wälzen sich dann am Boden, und nicht alle können num trinken; wem es gelang, diese Energie zu kontrollieren, der ging umher und legte seine Hand auf, heilte diesen und jenen.

Katz unterhielt sich eingehend mit denen, die als große Heiler bekannt waren, mit Toma Zho und Kau Dwa. Sie waren wichtig bei dem community healing, denn geheilt wurden nicht nur einzelne Menschen, sondern es kam der gesamten Gemeinde zugute. Alle für einen, einer für alle. In frühen Zivilisationen war das so.

Erst das Christentum brachte (soeben gelesen bei Octavio Paz) den Gedanken der persönlichen Erlösung ein. »Das Opfer und die Rettung, die früher eine Angelegenheit des Kollektivs waren, wurden individuell.« (Mehr dazu am 1. November.) Dann kam noch der Kapitalismus hinzu, der die persönliche Bereicherung predigt. Paz schrieb: »Die modernen Massenansammlungen sind Zusammenkünfte von Einsamen.«

Und so sitzen in heutigen Arztpraxen schweigend die Patienten, konzentriert auf ihr eigenes Leid und hoffend auf ihre baldige, persönliche Heilung. Der Mitpatient ist nur einer, der vor mir dran ist und mir die Zeit des Doktors stiehlt.

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