So nett

Das Linda Apotheken-Magazin sorgte sich in seinem zweiten November-Heft um das Heil der guten Menschen: »Wenn zu viel Nettigkeit schadet.« Ein Forschungsprogramm befasst sich schon mit krankhaftem Altruismus. Das Störungsbild ist laut Psychologen »vielschichtig«, was uns schon sagt, dass es sich um eine erfundene Krankheit handelt.

»›Es ist zu viel des Guten, wenn jemand so auf den anderen fixiert ist, dass er die eigenen Grundbedürfnisse nach Nahrung, Geld und anderen Ressourcen in Zusammenhang mit dem Überlegen vernachlässigt‹, erklärt der renommierte Psychologe Simon Baron-Cohen von der Universität Cambridge. ›In diesen Fällen kann man von einer Krankheit sprechen.‹«

Der »renommierte Psychologe« erklärt also den heiligen Franz von Assisi und den heiligen Martin für krank, die ja beide in der Winterkälte frierenden Mitmenschen ihren Mantel (oder einen Teil davon) überließen. Sie brauchen Therapie! Jede Gesellschaft definiert, welches Verhalten ihr unnormal oder pathologisch vorkommt. Hinter der großen Güte steckt, sagt uns »unsere Expertin« Diplom-Psychologin Heide Stüvel, »oftmals ein riesengroßes Bedürfnis nach Anerkennung und Akzeptanz und auch der Wunsch, durch Hingabe mehr geliebt zu werden«.

Belohnt wird der »Gutmensch« durch das »Helper’s High«, das Hochgefühl, wenn man etwas Gutes getan hat. Sich um den Altruisten zu sorgen, ist aber wieder nur eine Art Egoismus. Die Botschaft ist auch hier: Kümmere dich um dich! Du stehst im Zentrum. Geschrieben wird ja nur über abweichendes Verhalten; Egoismus ist normal, und dass mir da ja keine Schuldgefühle aufkommen! Egoismus ist gesund, über den können die Christen schreiben, in deren Weltbild er störend ist.

Vielleicht schreibt man auch darüber, weil heute allzu viel Nähe störend ist. Seine Ruhe will man haben. Man verkriecht sich in dicke Automobile und hinter dicken Wänden und schaut in Monitore. Da kuckt man sich dann Frauen (oder Männer) für Dates aus, denn eigentlich wünscht man sich doch Nähe. Ach, wie schizophren ist das alles!

In dieser medizinisch hochgepushten Gesellschaft wird jedenfalls Verhalten pathologisiert. Die Leute sollen sich anscheinend fragen: Bin ich normal? Aber das ist ganz normal und war schon immer so.

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