Triste Rückschau

Zwischen den Jahren muss man mal zurückschauen und sich ausnahmsweise auch beklagen dürfen. Vier Monate ist es her, dass mein Buch Tod am Tiber veröffentlicht wurde, und nun liegt es auf einem Abstiegsplatz, ein Schicksal, das es mit dem SC Freiburg in der ersten Fußball-Liga teilt: Letzter (fast).

Ich fand den Band bei 500.000 liegen, und amazon zeigt einem ja verwandte Bücher, und da gibt es aus Rom schon einen Kommissar namens Mayer (Ciao Mayer), der ein Halbrömer ist, und ein Buch über einen lustigen Papst. Diese Taschenbücher sind allesamt lustig. Irgendwie ist mit dem Krimi in die Bücherwelt eine neue Infantilität eingezogen, die sich ja schon mit dem Erfolg der Komiker und Kararettisten ankündigte. Alles fing eigentlich vor 30 Jahren mit dem Sendestart von RTL an.

Zerfallen sehen wir in diesen Tagen
Die alte feste Form, die einst vor hundert
Und fünfzig Jahren ein willkommner Friede
Europens Reichen gab, die teure Frucht
Von dreißig jammervollen Kriegesjahren.
Noch einmal laßt des Dichters Phantasie
Die düstre Zeit an euch vorüberführen …

Das sagt Friedrich Schiller in seinem Prolog zum Wallenstein,  der dann mit einem Plädoyer für das Heitere endet.

… Und wenn die Muse heut,
Des Tanzes freie Göttin und Gesangs,
Ihr altes deutsches Recht, des Reimes Spiel,
Bescheiden wieder fordert – tadelt’s nicht!
Ja danket ihr’s, daß sie das düstre Bild
Der Wahrheit in das heitre Reich der Kunst
Hinüberspielt, die Täuschung, die sie schafft,
Aufrichtig selbst zerstört und ihren Schein
Der Wahrheit nicht betrüglich unterschiebt;
Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst.

Heitere Kunst: Kunstradfahrer Walle Schaible

Die Leichtfuß-Belletristen können sich also bei Schiller Unterstützung holen. Die Kunst solle heiter sein, meint Schiller und schickt seinen Feldherrn zu Bett, während die Mörder schon lauern, und Wallenstein sagt:

Gut Nacht, Gordon!
Ich denke einen langen Schlaf zu tun,
Denn dieser letzten Tage Qual war groß.
Sorgt, daß sie nicht zu zeitig mich erwecken.

Gordon bittet die Häscher, sie möchten dem Feldherrn noch diese Nacht schenken, doch diese handeln, machen den Kammerdiener nieder, und dann – die guten alten Regeln des Schauspiels – erfahren wir von anderen, was geschehen ist.

Gräfin: Was ist geschehen, Seni?
Page (herauskommend). O erbarmungswürd’ger Anblick!
(Bediente mit Fackeln.)
Gräfin. Was ist’s? Um Gotteswillen!
Seni. Fragt Ihr noch?
Drinn‘ liegt der Fürst ermordet, Euer Mann ist
Erstochen auf der Burg.
(Gräfin bleibt erstarrt stehen.)

Schiller wollte die Vervollkommnung des Menschen durch Schönheit und Tugend, und was er wohl mit heiter gemeint hat? Würde man ein Drama von Schiller allen Ernstes als heiter charakterisieren wollen? Ich fand einen Hinweis bei Michael Hofmann (Schiller: Epoche, Werk, Wirkung, 2003): »Die berühmte Formel meint keine sorglose Abstraktion von der Wirklichkeit, sondern verweist darauf, dass die Kunst einen Freiraum gewährt, der eine kritische Distanz zu den Zwängen des Realitätsprinzips konstituiert.«

Das meine ich ja auch: Humor und Heiterkeit wirken nur vor der Folie von Ernst und Tragik. Und Ernst und Tragik müssen im Buch vorkommen und dürfen nicht unterschlagen werden nach dem Motto: Denk dir das Ernste halt mit!

Es hat keinen Sinn mehr, einen Krimi zu schreiben. Es hat auch keinen Sinn mehr, einen Roman zu schreiben. Die ganze Belletristik ist im Eimer. Das führt mich persönlich direkt in die Sinnkrise: Wie lebt man ohne ein Projekt? Wie lebt man ohne das Schreiben? Ich weiß es nicht. Jedenfalls hat man keine Öffentlichkeit mehr, weil die Konkurrenz zu groß ist und es eigentlich egal ist, was gedruckt wird. Man wird hinweggeschwemmt. Der wahre Autor muss also ins innere Exil. Zum Glück gibt es manipogo!

 

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