Der irre Iwan

Der vorgestern gesendete Tatort aus Weimar wollte irre sein, darum das irre im Titel, denn Iwan war ja nicht irr, nicht einmal wirr, sondern ein normaler Bürger mit gutem Job und ganz normalen Sehnsüchten, und der Zirkus (mit Josef, seinem Zwillingsbruder), lieferte die Kontrastwelt zu der seinen.

Fernsehen und Film verhalten sich zur »normalen« Welt wie der Zirkus zur Alltagswelt seiner Zuschauer, und die Macher spüren selber das Zwielichtige und Halbseidene ihres Tuns, weshalb sie gern den Zirkus bemühen. Dass es den Zirkus noch gibt, ist ja ein Wunder, er wirkt wie von vorgestern; und doch war er mit dem jüngsten schon Schauplatz von drei Tatorten in etwas über einem Jahr (etwa: einer mit Tukur, Schwindelfrei.)

Neonreklame in Las Vegas (Foto: Library of Congress, Washington D. C.)

Der Zirkus, das ist Körper, Athletik, Akrobatik, Farbe und Effekt: greller Effekt. Ich erlebe es  selber gern;  das echte Zirkus-Gefühl ist, wenn sich der Kehle (und der Seele) ein Ausruf wie Wahnsinn und unglaublich entringt. Der Tatort Der irre Iwan sollte schräg und schrill sein, darum hat das mit dem Zirkus schon gepasst. Der Film war auch gelungen mit seiner unwahrscheinlichen Handlung und den ausgesucht dekorativen Orten, die das Ermittlerpärchen aufsuchte. Seltsam war der Kontrast der durchweg bunten Figuren (und ihren guten Darstellern) zu dem fast zu normalen Pärchen, das durch den Fall marschiert wie durch ein Einkaufscenter.

Sie waren sozusagen die Repräsentanten des Bürgers von heute, der auch ganz normal ist und sich an die irre Welt da draußen und die Medienwelt mit youtube und all dem sponstigen Schmarr‘n gewöhnt hat und gute Miene zum bösen Spiel macht.

Komisch, dass so ein turbulenter Film heute zur besten Sendezeit laufen darf. Vor 25 Jahren hat so etwas Pedro Almodóvar gemacht, er kannte keine Tabus, und sein Film Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs war 1988 etwas für Spezialisten und die Avantgarde. Susan verzweifelt gesucht haben wir auch geliebt. Heute wirken die beiden Filme altbacken, und so etwas ist nun mainstream. Es nicht so, dass die Menschen anders geworden wären; nein, die Medienbranche und die Arbeitswelt haben ihr Tempo beschleunigt und den Konsumenten mitgerissen.

Die Medien bilden ab, was sie schleichend (oder: rasend) selber erzeugt haben. Immer lauter wird geschrien. Diese schräge und schrille Welt, sagen sie, könnte die deine sein. Du bist ein Star, du bist individuell, leb dich aus! Die Leute suchen ja immer nach Identität, die sie aber dann nur in Äußerlichkeiten finden: das Tattoo, die bunten Haare, die Sonnenbrille, die Reise nach Dubai. Vielleicht hatte Spengler doch recht: Der Geist unterliegt dem Leben, das Abendland muss untergehen.

V0r allem der Krimi wird untergehen. Er wird sich selbst zerlegen. In meiner Rückschau vor Silvester habe ich über den Begriff heiter geschrieben, aber das war am Thema vorbei. Der Weimar-Tatort, den man als Krimi-Groteske bezeichnen muss, hat das Rad noch einen Klick weitergedreht, der Tatort mit Tukur wird auch wieder Menschen, Tiere, Sensationen bieten, und der Rest wird den Fernsehzuschauer bald langweilen. Am Ende ist der Kommissar am Ende: bloß noch eine Witzfigur. Was kommt dann? (Ich habe eine Idee, aber ich verrate sie nicht. Ich setze sie um. Das wird aber noch dauern.)

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