Lusungu

Witness to Witchcraft, also Zeuge von Zauberei heißt ein Buch von Harry B. Wright von 1958. Zauberzeuge wäre auch schön gewesen, auch nah dran am Original, aber Orell Füssli wählte Zauberer und Medizinmänner. Der interessanteste Zauberer im Buch ist aber weiblich: Lusungu.

Wright war ein Zahnarzt aus Philadelphia, den seine Neugier nach Magie und außergewöhnlichen Heilverfahren nach Brasilien und Afrika trieb. Um 1951 wird es gewesen sein, dass er im damaligen Belgisch-Kongo sich auf die Suche nach Lusungu machte, angeblich die mächtigste Zauberin in einem großen Gebiet. Und dann sah er ein Eingeborenenmädchen, das sich gegen den Türpfosten einer neuen Grashütte in der Nähe lehnte.

Sie hatte hellschokoladenfarbene Haut, war größer als die anderen Frauen, trug Tätowierungen auf dem Bauch und eine seltsame Haartracht. Der Zahnarzt sah fast mit Abscheu, dass man ihr sämtliche Zähne nadelfein zugeschliffen hatte. »Sie rollte abwechselnd ihre Augen und Hüften und blickte gelangweilt drein. Ihr Gesicht, das sich wie eine makellose Kamee gegen das Schwarz-Grün der Hütte abhob, nahm einen Ausdruck vollkommener Ruhe an.«

Lusungu, fotografiert wohl von Harry B. Wright (aus dem erwähnten Band)

Lusungu ist cool und kennt alle Tricks. Sie ist eine große Zauberin. Ein kleines Mädchen wurde vergewaltigt, und Wright meint, es sei tot, aber Lusungu beatmet sie. Sie findet den Täter, entlockt ihm ein Geständnis, streut ein Pulver um dessen Hütte und sagt: »In drei Tagen bist du tot.« So kam es.

Harry erlebt Lusungu in Aktion. Ein Mädchen liegt tot im Wald, und ihr Gehirn wurde entfernt. Zu befürchten war, dass Lusungu sie als verhext hinstellte, um ihren Rivalen, dessen Freundin sie war, zu beschädigen. In einem Nachbardorf werden Ornamente aus dem Haus eines Kommissars gestohlen. Bei einem Schauprozess zeigt sich, dass der Zauberer des Nachbarorts in den Diebstahl verwickelt war. Er und die beiden Täter werden verurteilt, eine Giftmischung zu trinken. Viele Dorfbewohner trinken dieselbe Mischung, und, o Wunder, es sterben nur der Zauberer und der Haupttäter. Es handelt sich also nicht um Mord und direkte Gewalt, sondern die Schuldigen sterben, weil sie meinen, sterben zu müssen. Ihre Schuld tötet sie.

Ψ  Ψ Ψ

Lusungu bedauerte es, den Doktor zu verlieren, der mit ihr Kenntnisse austauschte und keine Vorurteile hatte, welche Medizin besser sei.

»Du gehst zu deinen Leuten zurück, weißer Doktor«, sagte sie zu mir kurz vor meinem Aufbruch. »Du nimmst etwas mit dir mit. Du musst auch etwas zurücklassen.«
»Was sollte ich wohl zurücklassen?« fragte ich sie.  
»Regen«, antwortete sie. »Mein Volk braucht Regen.« Es fiel mir ein, dass die Wettervorhersagte zur üblichen Praxis des Zauberdoktors gehörte, zu der Lusungu sich aber nicht herbeiließ.
Ich lachte und sagte ihr, dass ich die Trockenheit nicht mitgebracht habe und deshalb nicht einsehe, wie ich Regen zurücklassen könnte. Sie schüttelte mit leisem Bedauern den Kopf.
Ein paar Monate später, als ich wieder zu Hause in Philadelphia war, erhielt ich zu meiner leichten Verwunderung einen Brief von Frau Evangeline Mowbray, der Gattin eines der Beamten der Palmölgesellschaft mit der ich während meines Aufenhaltes dort gut bekannt geworden war. Sie schrieb:
»Vor mehreren Tagen kamen fünf Bapendekrieger in die Fabrik. Sie waren von Lusungu gesandt worden, um nach Ihnen zu fragen. Seit Sie ihr Dorf verließen, ist nicht ein Tropfen Regen gefallen. Ihr ganzer Mais vertrocknet, und bald wird es nichts mehr zu essen geben. Lusungu glaubt, dass der Ngombo mit den vier Augen [ich trage eine Brille] den Regen mitgenommen habe, als er nach seinem eigenen Dorf abreiste. Ich glaube freilich nicht, dass sie Sie des Diebstahls anklagt. Sie hätte nur gern den Regen zurück, wenn es bei Ihnen genug geregnet hat. Ich weiß, dass das alles töricht klingt, aber die Leute meinen es ernst …«

Nachdem ich darüber nachgedacht hatte, sandte ich Frau Mowbray eine Antwort: »Ich bin froh, dass Sie mir von Lusungu erzählen. Es tut mir sehr leid zu hören, dass der ganze Mais vertrocknet. Wollen Sie bitte Lusungu benachrichtigen, dass ich den Regen zurückgebe, da Philadelphia jetzt mehr davon hat, als es braucht. Bitte danken Sie ihr für die Freundlichkeit, ihn mir eine Weile überlassen zu haben.«

Etwa einen Monat später erhielt ich einen Brief aus Kikwit, der freilich im einzelnen nichts beweist. »Lieber Dr. Wright! Sie werden mir vielleicht nicht glauben; aber wenige Tage nach Eintreffen Ihres Briefes begann es im Bapendeland zu regnen. Es regnet seitdem ununterbrochen, und bald wird Lusungu bei Ihnen vorstellig werden, damit Sie es wieder aufhören lassen. Vielen Dank für Ihre Mitwirkung. Herzlichst Ihre Evangeline Mowbray.«

Dazu ein früherer Artikel von mir: Wettermagie.

 

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.