Zehn Fahrräder reparieren

Heute werde ich über ein Buch sprechen. Das kommt oft vor, weil ich viel lese. Ich habe nicht, was man »Privatleben« nennen könnte, auch »Life-Work-Balance« ist ein Fremdwort: Ich lese und esse und trinke und rauche und schreibe und fahre rad. Weil Motorradfahrer eigentlich entfernte Verwandte des Radfahrers sind, nur mit etwas ungehobeltem Auftreten, habe ich Zen in der Kunst, ein Motorrad zu warten von Robert M. Pirsig gelesen. Das wurde nach seinem Erscheinen 1974 ein Welterfolg.

Vor über zwei Wochen, in Stralsund, hatte ich mit der Lektüre begonnen, und dann konnte ich nicht mehr aufhören. Nun habe ich schon vieles daraus vergessen, aber manchmal ist das besser, denn es bleibt übrig, was wichtig war. Wichtig jedenfalls: das Motorrad. 

Das erste Motorrad (1894); mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Zweirad- und NSU-Museums, Neckarsulm

Pirsig ist 1928 geboren und machte im Juli 1968 mit einem befreundeten Paar und  seinem 11-jährigen Sohn Chris auf dem Sozius eine Motorradtour durch die USA. Diese Reise ist die Handlung des 400 Seiten langen Buches: eine wahrhaft epische Reise durch Wüsten und über Berge bis zum Pazifik. 

Eine Wüstenstraße … in Marokko

Robert M. Pirsig hat sogar die Namen seiner Freunde belassen, und was wir über die Biografie des Erzählers hören, hat er im Detail selber erlebt: Philosophiestudium, Aufenthalt in Benares; Verfassen von technischen Handbüchern, psychotische Episoden mit Elektroschock-Behandlung, Lehramt für Rhetorik im berühmten Ort Bozeman (Montana) … 

Er hat nur noch ein Buch geschrieben, viele Jahre später: Lila oder ein Versuch über die Moral (1991; habe ich auch gelesen). 121 Verlage sollen das Zen-Buch abgelehnt haben, bevor es ein Bestseller wurde. Und dann noch ein trauriges Faktum: Pirsigs Sohn Chris wurde fünf Jahre nach Erscheinen des Buches auf offener Straße erstochen. 

Die Kommunikation zwischen Vater und Sohn ist rührend. Denn der 11-Jährige hat Angst, sein Vater könnte wieder verrückt werden; er kennt aber auch die frühere Persönlichkeit des Vaters, der über intensives Philosophieren fast seinen Verstand verlor. Chris ist oft schlecht gelaunt und launisch, aber sein Vater hilft ihm über die schwierigen Phasen der Reise hinweg.

Natürlich erfahren wir etwas über das Reparieren von Motorrädern (das trifft auch auf Fahrräder zu). Jeder kennt die Probleme, etwa die »stuckness«: man hängt fest, kommt nicht mehr weiter, wird wütend. Dann muss man eine Pause einlegen. Wer liebevoll und hingebungsvoll ein Gerät repariert, ist im Einklang mit ihm (Foto: die Instrumente eines Fahrrad-Konstrukteurs in Gröbenzell), hat »Quality«. Und um diesen Begriff geht es auf vermutlich 100 Seiten, und Pirsig geht auf Aristoteles und Plato zurück und sehr in die Tiefe. »Quality« heißt eigentlich Eigenschaft, könnte aber auch etwas wie Güte und Gutes bedeuten, also Qualität und moralischer Anspruch. Man hat immer zwischen dem Guten und dem Wahren unterscheiden wollen und entschied sich letztlich für das Wahre. Das Gute, daher kommt der Begriff Gott (God, good).  

Nach allem Herumwandern hat der Erzähler die Erleuchtung: seine Quality ist etwas, das vor allem war und aus dem alles hervorging, und es ähnelt am ehesten dem Tao, das undefinierbar ist und überall. Kinder und Narren haben Tao. Zen and the Art of Motorcycle Maintenance wurde zur Bibel der Esoteriker und schaffte es, Technik und Philosophie einander näherzubringen. Das Buch ist eine anstrengende Lektüre, aber für seine Menschlichkeit und Intimität muss man es lieben.       

 

 

 

 

 

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