Harry Rowohlt

Harry Rowohlt ist gestorben, 70 Jahre alt. So einer fehlt künftig. Er sagte, was er dachte, und was er dachte, war meist anders, als andere denken und fremd und manchmal brüskierend, sowas ist selten. Wer (wie ich leider nicht) eine seiner legendären Lesungen miterleben durfte, hat Glück gehabt.

Ich habe ihn sogar einmal kennengelernt, damls 1987 in Hamburg, als er knapp über 40 war und ich 30, ein verlorenes Seelchen in der verruchten Großstadt. Die Reeperbahn war heruntergekommen und noch echte alte Reeperbahn, und irgendwo lernten wir uns kennen und gingen gemeinsam in einen Country-Schuppen, in dem vor einer Handvoll Zuhörern sich eine Hillbilly-Band mit Sängerin produzierte. Ich glaube, ich schrieb an einer Reportage über Country-Musik.

Irland, Rock of Cashel (1975)

Harry wohnte damals in der Langen Reihe, in seiner Wohnung war ich mal, und vielleicht besuchten wir auch gelegentlich in einer der Kneipen dort, ich erinnere mich nicht mehr gut, und er erinnerte sich auch nicht an mich, als ich ihn auf einer Buchmesse vor ein paar Jahren darauf ansprach. Es waren ja vermutlich 15 Jahre vergangen seither, und er hatte Bücher übersetzt (angeblich insgesamt 99 oder 120), darunter bereits 1975 Der dritte Polizist von Flann O’Brien, den er in Deutschland bekannt machte.

Wenn sich Harry etwas heimisch fühlt dort drüben, wird er sich wohl als erstes auf die Suche nach O’Brien machen, der 1966 gestorben ist, vor 50 Jahren fast. Das wird ein Treffen! Ob es in der anderen Dimension irischen Whiskey gibt, wage ich zu bezweifeln, doch dort fühlt man sich ohnehin leicht trunken, Spirituosen sind unnötig. Bei manchen Abenden soll Harry Rowohlt auf der Bühne eine ganze Flasche getrunken haben, und dann redete er und erzählte wohl auch drei Stunden.

Er war ein Wortkünstler, wozu man Talent braucht, aber auch Mut. Ach, und heute bewerfen sich Leute mit Worthülsen, mit ausgelutschten, abgenutzten Parolen, die nach alten Lumpen riechen, und schämen sich nicht mal.

Der Alkohol. Auch Die Asche meiner Mutter von Frank McCourt hat er übersetzt, da geht es um die irischen Männer, die ihren Lohn versoffen, wenn die Frau nicht einschritt, und Harry hatte wohl irische Gene, war ein alter Kelte und Barde.

Der Name schon klang nach Roman, aber er war tatsächlich Rowohlt-Erbe, wollte von dem Verlag aber nichts wissen. Er ist aber seinen Weg gegangen, und es freut einen immer, wenn jemand Erfolg hat, ohne sich die Bohne um die Erwartungen und Koventionen des Kultur-Karussells zu kümmern. Die Leute liebten ihn, und auch als Obdachlosen in der Lindenstraße habe ich Harry Rowohlt nie gesehen, aber wer ihn einmal miterlebte, konnte ihn nie vergessen.

Die Iren-Ecke im Jenseits mit Dylan Thomas, Brendan Behan, James Joyce, William Butler Yeats und Flann O’Brien hat also Zuwachs bekommen. Harry gehört dazu, und sie alle sitzen am blankpolierten Tresen bei Musik der Dubliners im Hintergrund. (Mein Freund Michi, mit dem ich mal in Irland war, 1975, darf auch dazu. Seit 2009 in der Geistigen Welt.) Bei so viel konzentriertem schöpferischen Geist braucht man keine geistigen Getränke mehr. Was für ihn vollkommene irdische Glück sei, fragte ihn die FAZ 1992. Antwort: »Im Eingeweide einer Kneipe mit klugen Freunden dummes Zeug schwätzen.«

Einen Irland-Artikel fand ich noch auf manipogo: Zum Pub radeln. Es geht um einen gewissen Seamus, ich hatte als Bild eins von Jan Paulsen reingetan mit der Unterschrift »So knnte Seamus ausgesehen haben«. Und so ungefähr sah ja Harry Rowohlt aus.

 

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.