Kampfgeist

»Wir alle müssen lernen, uns als Teil dieser Erde zu sehen, nicht als einen Feind, der von außen kommt und ihr seinen Willen aufzuzwingen sucht. Wir (…) wissen auch, dass wir als lebendiger Teil dieser Erde ihr nicht Gewalt antun können, ohne uns selbst zu verletzen.« — Worte des Sioux-Medizinmanns Lame Deer (Tahca Ushte, 1900−1974), passend zum genehmigten Bau eines Supermarkts in Ballrechten-Dottingen (Baden), dem Ort, der gestern vorgestellt worden war.

»Kampfgeist zahlt sich aus« war vor einer Woche die Überschrift im Rebland-Kurier. »Lang und vor allem steinig« sei der Weg gewesen dorthin. Ja, Entschlossenheit im Kampf gegen unsere Erde, mit einer Natur-Metapher schlüssig bekräftigt. Im Amtsblatt steht fettgedruckt: »Wir sind sehr froh über diese Entscheidung des Regierungspräsidiums Freiburg. (…) Die Grundversorgung unserer Bürgerinnen und Bürger kann damit nachhaltig gesichert werden.« Schon Mitte 2013 soll er dastehen, der Markt. Er wird sich auf einem Feld in Sichtweite des Castellbergs breitmachen, auf dem früher Blumen geschnitten wurden.    

88 Prozent des Ortes haben sich in einer Umfrage für ihn ausgesprochen. Ich bin fast erleichtert. Es ist ein klares Votum, das sagt: Der Blick auf den Castellberg ist mir egal, ich will es möglichst bequem haben, um meine Schnitzel und Nudeln einkaufen zu können. Was schert mich der Erholungsort, was kümmern mich Touristen, was Berg und Feld? Einen Parkplatz will ich und schön einkaufen.   

Wohnanlage in Mülhausen (Elsass)

Allerdings liegt der Markt so weit von beiden Ortsteilen entfernt, dass die wenigsten zu Fuß dorthin tippeln werden. 500 Meter sind den meisten ja schon zuviel, so sie nicht Hundebesitzer sind. Sie fahren wohl mit ihrem Auto (jeder hat ja eins) — und könnten genausogut in andere Richtungen fahren: In 4 Kilometern Entfernung gibt es einen Rewe in Heitersheim, in 6 Kilometern  gleich mehrere Supermärkte in Staufen. Schon vorher gab es einen Tante-Emma-Laden in Dottingen, der aber kaum frequentiert wurde und einging.   

Die Landschaft, vom Rhein gesehen, wirkt idyllisch. Doch nähert man sich den Schwarzwaldausläufern, wird man entlang der Bundesstraße B3 die Wucherungen der Konsumgesellschaft sehen, wie man sie früher im Umkreis französischer und italienischer Städte naserümpfend zur Kenntnis nahm: Outlet-Flachbauten, Tankstellen, Möbelläden, Supermärkte.   

Zwei ziemlich große Märkte in Buggingen und Schliengen sind erst vor wenigen Jahren entstanden. Wächst die Bevölkerung denn derart schnell? Die Leute sind mit Lebensmitteln völlig überversorgt. Sie haben gar keine andere Wahl, als sich Bäuche anzufuttern.  

Zürich-Oerlikon, Glattpark (2011)

»Weißt du, dass die Bäume reden?« fragt der Häuptling der Stoney Tatanga Mani (1871−1967). Das lieh einem Buch des Freiburger Herder-Verlags von 1983 den Titel, dem ich meine Zitate entnehme. »Aber die weißen Männer hören nicht zu. Sie haben es nie der Mühe wert gefunden, uns Indianer anzuhören, und ich fürchte, sie werden auch auf die anderen Stimmen der Natur nicht hören.«

Der Hagelsturm vom 29. August in der Region beschädigte viele Autos und fiel mit aller Schärfe über den Castellberg herein, wo er 80 Prozent der Reben zerstörte. Nur diesen verheerte er; andere Flächen waren kaum betroffen. Da war sie, die Stimme der Natur, vielleicht mit einem Kommentar. 

 

 

 

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.