Wagen, wagen, wagen!

Es geht hier und heute um das Wagen, nicht um den Wagen. »Musst nur wagen, wagen, wagen!« ist der Titel des 5. Buchs der Edition kritische Ausgabe, das eine Auswahl auf die bislang in 18 Jahren erschienenen 25 Hefte der Kritischen Ausgabe aus Bonn vorstellt. Auch ein Beitrag von mir ist vertreten, aus dem Heft von 2006, Verbrechen.

Ach ja, Literaturwissenschaft, interessiert nur wenige. Leider. Darum ist es ein Wagnis, ernsthafte Themenhefte zu veröffentlichen, denn dazu braucht man Geld. Die Kritische Ausgabe, die ganz von Studenten herausgegeben wird, hat es sogar gewagt, eine Buchreihe ins Leben zu rufen und unterhält seit vielen Jahren eine Internetseite, bei der ich über sechs Jahre eine Kolumne hatte, die Ausreißversuche. Hab ich ja oft genug erwähnt. Die insgesamt rund 150 Beiträge sind auf der Seite noch einsehbar. Und das hier vorzustellende Buch wird mit Hintergründen erläutert, wie ich das hier nicht kann.

Die Nachrufe finden sich (auf der Internetseite K. A. plus) unter der Rubrik Just left the building, und ein gern gelesener Artikel ist schon alt, von 2006: Stefan Andres aus Leverkusen, früherer Redakteur der K. A., interviewte den Präsidenten der Stefan-Andres-Gesellschaft zum 100. Geburtstag des großen deutschen, 1906 geborenen Autors, der 1970 in Rom starb und auf dem Campo Santo Teutonico im Vatikan beigesetzt wurde. Das ist eine verschlungene Geschichte, denn Stefan kenne ich seit Rom, wo er ein Jahr als Lehrer verbrachte, und ich erinnere mich noch gut an sein Abschiedsfest am Trevi-Brunnen, wo er etwas bedrückt aussah. Wer geht schon gern weg aus Rom!

Schwierig nun, die 25 Beiträge zu würdigen. Der erste stammt von Christian Weber, der die Existenz Hans Castorps in Thomas Manns Zauberberg-Roman mit dem Dasein an der heutigen Universität verglich: charmant. Marcel Diel, Chefredakteur der K. A. von 1999 bis 2006 (das Jahr taucht hier immer wieder auf: Damals fing auch meine Kolumne an, die bis 2012 dauerte), ist mit einem Beitrag über Brecht zu dessen 100. Geburtstag vertreten, der Beitrag von Ralf Hanselle über Popliteratur (aus dem Jahr 2000) ist lesenswert, und Peter Weiss wird ebenso behandelt wie das Verhältnis zwischen Dürrenmatt und Frisch, Das Unbehagen der Architektur von Andri Gerber hat mir gut gefallen, und dann lernt man auch, was ein Psycholinguist tut. Und geradezu verschlungen habe ich die Geschichte von Florian Radvan, der uns W. G. Sebald näherbringt.

Ich muss sagen, dass ich mit dem Buch zwei vergnügliche Stunden auf dem Balkon verbrachte und mit Begeisterung und Spannung darin las, weil ich eben Literatur mag und gierig bin auf mehr davon. (Die Nummer ist ISBN 978-3-938803-68-4.) Interessant noch, dass die Autorinnen und Autoren, wie das Verzeichnis sagt, meistenteils zwischen 30 und 45 Jahren alt sind und alle irgendwo eine Nische gefunden haben, um mit Schreiben und Denken ihr Brot zu verdienen, was nicht selbstverständlich ist.

Da gibt es Professoren hier und in fernen Ländern und viele freie Journalisten mit einem Bauchladen, wie wir früher zum Spaß sagten. Sie haben sich spezialisiert und beliefern Kunden. Keiner ist Feuilletonredakteur bei einer Tageszeitung oder einem großen Magazin geworden. Das klassische Feuilleton von früher gibt es nicht mehr, und Journalismus ist auf dem absteigenden Ast; eine Festanstellung ist wie ein Lottogewinn. Doch wer einfallsreich ist, macht seinen Weg, und wenn’s auch ein schmaler, anstrengender ist.

2 Kommentare zu “Wagen, wagen, wagen!”

  1. Stefan

    Servus Manfred, da bin ich nun also verewigt als Lehrer in Rom und mit trüber Abgangslaune. Das trifft’s schon – ich meine mich zu erinnern, dass mich an jenem Abend auch die nur mäßige Kühlung der Weizenbiere, für die Du auf Deinem Fahrrad eigens gar die Gläser herbeibrachtest, gleichfalls nicht aufzumuntern in der Lage war. Wenige Wochen nach Rom begann damals übrigens meine K.A.-„Karriere“, mit dem Artikel über d’Annunzio, den ich Dir vorab noch zur kritischen Beurteilung zugesandt hatte. Mit Deinen „Ausreißversuchen“ konntest Du der K.A.-Webseite damals eine abwechslungsreiche, überraschende neue Farbe geben, ich fand es großartig, dass wir Dich dabei hatten. Leider kamen wir Studis mit Deinem Schreibtempo rasch kaum noch hinterher, so war die Seite dann schon ein manipogo in nuce. Bald fand auch meine K.A.-„Laufbahn“ ihr Ende – dieser Abschied war freilich noch deutlich trüber als zuvor der in Rom. Und doch war’s eine spannende Zeit mit spannenden Leuten – wie zuvor in Rom!

  2. web108

    Lieber Stefan! Schön, dass du es mitgekriegt hast! Danke für das Lob … gerade heute war ich zerknirscht und hielt mich für einen achtlosen und lieblosen Schnellschreiber (und Kaumleber), aber manipogo ist trotzdem ein Plus und hatte auch schon mal über 8000 Abrufe im Monat, was ich als Masszahl der K. A. plus stets im Auge hatte. manipogo in nuce ist schon gut … Ich rauche gerade mein Pfeiflein und denke an deinen Balkon mit links dem Bayer-Kreuz. Mach’s gut und servus Manfred.