Die Macht der Hand einer Frau

Der italienische Essayist und Aphoristiker Guido Ceronetti, 1927 geboren, legte 1979 eine Sammlung von Anmerkungen zur Medizin vor, Il silenzio del corpo. Das Buch (in meiner Ausgabe von Adelphi, Mailand, 1984), ist vollgepackt mit Gelehrsamkeit, aber auch voller Juwelen. Einige Auszüge.

Die Rabbiner erlaubten, dass ein christlicher Prediger einen hebräischen Kranken im Namen Christi und der Heiligen heilte, weil ›der Klang der Stimme und nicht der Sinn der Wörter Grund der Heilung‹ sei. Das Mysterium der Poesie liegt zum Teil in dieser Erklärung. Die Poesie kann man nicht von ihrem eigenen Klang abtrennen, andernfalls verliert sie ihre therapeutische, prophylaktische oder magische Wirkung, die einen großen Teil ihrer ausmacht. Wenn eine Version in einer anderen Sprache nicht einen eigenen Klang besitzt, der heilt, dann ist sie nur Hinweis darauf, dass der Zauber mittels des originalen Texts vorgenommen werden muss. (43)

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Ein Heiler aus Turin lebte mit einer syphilitischen Frau zusammen, ohne sich bei ihr anzustecken, und er versicherte: Weil Liebe vorherrsche, gebe es keine Ansteckung. Die angesteckte Frau ist gefährlich nur dem, der sie nicht liebt. (46)

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Wunderschöner Gedanke von Le Clézio: »Eines Tages wird man vielleicht wissen, dass es keine Kunst gab, sondern nur Medizin.« (52)

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Keines unserere Heilmittel, ihr armen Ärzte, hat die wundersame Macht der Hand einer Frau, die sich auf die Stirn eines Leidenden legt. In diesem entscheidenden Moment verschwindet die Wissenschaft; und an die Frau heftet sich die Angst dessen, der sich in die Einsamkeit des uferlosen Jenseits vorzuwagen gezwungen ist.“ (Gregorio Marañon, Soledad y libertad) (59)

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Esquirol spricht eine große Wahrheit aus: »Es gibt Individuen, die die Vernunft wiedergewinnen, wenn sie ihr Domizil verlassen und sie von neuem verlieren, wenn sie es wieder beziehen.« Das Haus begünstigt die Verrücktheit und die Nervenkrankheiten … Ich liebe mein Haus, aber bin glücklich, wenn ich weit weg bin von ihm, ich sehe die Gitter nicht, die Vernunft ist ruhig, der Gedanke kann sich ausleben, die Gewohnheiten verändern sich. Wer kein Haus hat und als Nomade geboren ist, lernt vielleicht nie die Geisteskrankheit kennen. (73)

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Gracián sagt (Criticon III, La Suegra de la vida), dass die Ärzte den Umzug des Todes anführen, dass sie »seine gewissesten Minister sind, die ihn unweigerlich anziehen«. (75)

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»Ohne moralische Mittel sind alle Arzneien wirkungslos.« (Constantin Hering, Homeopathic Domestic Physician). Sie sind nicht nur wirkungslos, sondern schädlich.

 

Ein Kommentar zu “Die Macht der Hand einer Frau”

  1. Regina

    Lieber Mandy!

    ja schön, diese Gedanken… und der Grund, warum ich „na“ so gerne höre. ciao Gina