Fernzündung

Soll das eine gute Nachricht sein, dass der Schweizer, der in einem kleinen Zug Feuer legte und um sich stach, kein terroristisches oder politisches Motiv hatte? Die Tat erinnere an die Attacke eines jungen Mannes in Würzburg am 18. Juli, heißt es; sehr richtig beobachtet, ihr Medien, denkt mal drüber nach.

Da gibt es offenbar »labile« Männer (schrieben auch die Medien), die wie »Schläfer« wirken, diese Agenten, die auf ein Stichwort hin einen Plan ausführen. Sie sind enorm frustriert und werden von Medienberichten beeinflusst. Es handelt sich hier um Nachfolgetaten und bei den Tätern um Nachahmungstäter, die einer »Fernzündung« unterliegen. Sie brauchen keinen Imam, um radikalisiert zu werden. Sie sind schon radikal und gewaltbereit, und es braucht nur einen Funken (um an den Electropolis-Bericht anzuschließen), um die Lunte in Brand zu setzen und sie vom Gedanken zu einer bösen Tat zu bringen.

Es ist ja schlimm, dass es in einer toleranten, freiheitsliebenden Gesellschaft solche Menschen gibt, die ihren Frust nur durch Gewalt ausleben können. Wut statt Trauer; Projektion statt Selbstkritik; handeln statt überlegen: Das sind alles Verhaltensmuster, die in dieser Gesellschaft erfolgversprechend wirken und andauernd reproduziert werden. Ich glaube, wir begreifen nicht richtig, dass wir in einer (nicht nur latent) aggressiven Gesellschaft leben, deren höchste Mystik der Kaufrausch ist.

Ich habe es ja schon öfter aufgelistet: der Krimi-Boom, der Fußball-Wahn, das Tempo in den Firmen, die Beschleunigung der SUV-Panzerkommandanten auf den Bundesstraßen, die Tonart in den Social Media, und zu dem kommt noch das geballte Mediengeschrei, deren Hype und Sensationsgeilheit, was schon das Pathologische streift. Reporter ziehen aus wie eine Meute von Guerilleros. Das sind alles Entwicklungen, die man schwerlich zurückdrehen kann. Man wartet also auf den nächsten Anschlag und sagt: Sind denn alle verrückt geworden?

Diese Verrücktheit wird uns ja in den Krimis andauernd vorgespielt. Das ist nicht eine Marotte von mir; ich bin überzeugt, dass Gewaltfantasien als Muster und Keime fungieren und Realität annehmen können. So haben wir selber den Funken an die Lunte gelegt und wundern uns nun. Man hört Leuten zu, und sie reden andauernd über Waren, Dinge, Pläne, doch dazwischen lugt man ins Nichts. Und die allgemeine Wertelosigkeit führt bei einzelnen zum Gefühl der Wertlosigkeit.

Statt immer neuer Technologien, statt mehr Tempo und dem Overkill der Medienangebote bräuchten wir mehr Ruhe und das Ziel einer friedlichen Gemeinschaft. Zuviel Kontrolle, zuviel Ordnung und zuviel Druck sind der Tod; Lässigkeit und etwas Abseitsstehen schafft erst Inseln des Friedens und der Freiheit. Jedenfalls: nachdenken und den Problemen nachgrübeln. Das kommt inmitten des Aktivismus überall zu kurz.

Ein Kommentar zu “Fernzündung”

  1. Regina

    … gute Gedanken – guter Bericht! Grüße Gina