Harry Heine (1)

In ihrem Buch mit jüdischen Witzen musste Salcia Landmann in ihrer Einführung natürlich Heinrich Heine erwähnen. Er lebte von 1797 bis 1856, schrieb düstere Balladen, satirische Liebesverse und echt romantische Gedichte. »Harry« Heine war der größte deutsche Lyriker im 19. Jahrhundert, sage ich.

1835 wurden seine Gedichte schon ins Japanische und in viele andere Sprachen übersetzt. In den ersten 30 Jahren des Jahrhunderts lebte Goethe noch, danach ist noch Joseph von Eichendorff wichtig, aber Heine war ein ganzer Kosmos; so wie es »komplette« Radrennfahrer gibt, die Eintagesklassiker, die Tour de France, Sprints und auch Bergwertungen gewinnen können, so war Heinrich Heine ein Dichter, der alle Sparten beherrschte. An ihm liest man sich nicht satt, und es wundert mich, dass ich ihn bei manipogo noch nie erwähnt habe.

Ich bin ja ein Mann der Klassik. Mit 18 Jahren unglücklich verliebt gewesen und mit  Goethes »Werther« gelitten; meinen Schreibstil durch das Studium an Heines Pariser Briefen (er war Korrespondent für die Augsburger Zeitung) geschult (da lernte ich den Einsatz von Semikolons und den Aufbau von Sätzen). Und viel die großen Stilisten des 20. Jahrhunderts gelesen: Robert Musil und W. G. Sebald.

Das beachtliche Lyrikwerk von Heine verdient ein paar Beiträge. Machen wir also eine kleine Serie daraus. Erst einmal zwei Beispiele, beide gothic und passend zum Frankenstein (1818) und den Romanen von Wilkie Collins (1824-1889). Aber immer steckt darin ein Funken romantische Ironie; man weiß nicht, wie ernst man das zu nehmen habe, und stark kommt das in Romanze 3 zum Ausdruck, dem

Childe Harold

Eine starke, schwarze Barke
Segelt trauervoll dahin.
Die vermummten und verstummten
Leichenhüter sitzen drin.

Toter Dichter, stille liegt er,
Mit entblößtem Angesicht:
Seine blauen Augen schauen
Immer noch zum Himmelslicht.

Aus der Tiefe klingt’s, als riefe
Eine kranke Nixenbraut,
und die Wellen, sie zerschellen
An dem Kahn, wie Klagelaut.

Die Toteninsel (Ausschnitt) von Arnold Böcklin (1827-1901)

Die Toteninsel (Ausschnitt) von Arnold Böcklin (1827-1901)

Romanze 4 heißt

Die Beschwörung

Der junge Franziskaner sitzt
Einsam in der Klosterzelle,
Er liest im alten Zauberbuch,
Genannt der Zwang der Hölle.

Und als die Mitternachtsstunde schlug,
Da konnt er nicht länger sich halten,
Mit bleichen Lippen ruft er an
Die Unterweltsgewalten.

»Ihr Geister! holt mir aus dem Grab
Die Leiche der schönsten Frauen,
Belebt sie mir für diese Nacht,
Ich will mich dran erbauen.«

Er spricht das grause Beschwörungswort,
Da wird sein Wunsch erfüllet,
Die arme verstorbene Schönheit kommt,
In weiße Laken gehüllet.

Ihr Blick ist traurig. Aus kalter Brust
Die schmerzlichen Seufzer steigen.
Die Tote setzt sich zu dem Mönch,
Sie schauen sich an und schweigen.

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