Farogh Farrochzad

Im Synagogen-Konzert im Spätsommer sang eine Frau aus Teheran ein Gedicht von Farogh Farrochzād. Die Universitätsbibliothek Freiburg hatte einen schmalen Band aus ihrem Werk, übersetzt ins Englische. So erfuhr ich mehr von dieser lebenslustigen Iranerin, die bewundert wurde und früh starb.

»Was vergeudest du deine Zeit mit den Gedichten dieser Hure?« sagte ein Familienmitglied der Übersetzerin Sholeh Wolpé. Für die älteren Perser war Farogh Farrochzād ein rotes Tuch, denn sie hatte viele Liaisonen, ließ sich von ihrem Mann scheiden, obwohl sie ein Kind von ihm hatte und schrieb … Gedichte.

farrokhzad1958, sie ist 23 Jahre alt, verliebt sie sich in den Geschäftsmann Ebrāhim Golestan, der jedoch verheiratet ist. Er ist Regisseur und Produzent, und sie arbeitet in seinem Studio. Es wird eine Affäre. Er baut ihr ein Haus. Forugh ist eine geachtete Dichterin geworden. Am 14. Februar 1967 besucht sie ihre Mutter. Sholeh Wolpé beschreibt: »Sie küsst ihre Mutter auf die Lippen. Ihre Lippen sind kalt, spürt ihre Mutter, die sich an das alte Sprichwort erinnert, dass, wenn jemandes Lippen kalt sind, dieser sich an der Schwelle des Todes befindet.«  Sie bittet Forugh, vorsichtig zu sein, wenn sie mit ihrem Jeep ins Studio zurückführe. Die junge Dichterin antwortet: »Mutter, wie du immer sagst: Was Gott will, geschieht.« Dann zischte sie ab. Ein Schulbus kam ihr entgegen, sie versuchte, ihm auszuweichen, ihr Jeep überschlug sich, und sie fiel mit dem Kopf auf den Randstein. Farogh Farrochzād, 32 Jahre alt, war sofort tot.

Die Übersetzerin erklärt im Nachwort, wie sie vorgegangen sei und schickt dann ein Geständnis hinterher:

Eines Nachts, nachdem ich lange Stunden mit einem ihrer Gedichte verbracht hatte, ging ich zu Bett, unzufrieden mit einer bestimmten Stanza. Ich konnte nicht ausdrücken, was Forugh gesagt haben wollte, ohne den Rhythmus zu stören, den ich mühevoll hergestellt hatte, um den ihres Gedichts nachzuahmen. Mitten in der Nacht hörte ich eine Stimme. Es war eigentlich ein Flüstern. Ich hörte ihn mit meinen Ohren und mit meiner Haut. Die Stimme war wie das weiche Zischen sich bewegender Luft. Ich öffnete die Augen und sah, wie Forugh neben mir saß.

Ihr Gesicht leuchtete, ihr Haar war kurz und schwarz. Ich hätte eigentlich schreien müssen. Ich hätte mich aufraffen und zur entfernten Seite des Bettes kriechen müssen. Ich hätte terrorisiert sein müssen. Stattdessen schaute ich sie ruhig an und war verzückt von ihrer unglaublichen Schönheit und Präsenz. Ich versuchte, meinen Arm zu heben, sie zu berühren, um herauszufinden, ob sie real war, doch mein Körper fühlte sich wie ein Stein an.

Sie beugte sich über mich und flüsterte: „Steh auf und verändere diese schrecklich konstruierte Stanza.“ Das war nicht, was ich erwartet hatte zu hören. Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Dann verriet sie mir ruhig und entschieden genau die Wörter, die ich verwenden sollte, um die fraglichen Stellen zu reparieren. Dann wachte ich auf. Zum Glück erinnerte ich mich an ihre Anweisung und konnte sie verwenden. Es passte. Es passte! Kamen sie aus meinem eigenen Geist, aus dem Geist des Gedichts oder von der Dichterin selbst? Ich kann es nicht sagen.

farrochsad2Ach, diese modernen Menschen, skeptisch bis zuletzt! Warum soll Farogh sich nicht darum gekümmert haben, dass die Übersetzung gut wird? Auch Dante Alighieri hat sich dafür eingesetzt, dass die fehlenden Teile seines Paradieses aus der Göttlichen Komödie gefunden wurden. Bringen wir von Farogh Farrochzād das lange Gedicht Reborn (Wiedergeboren; passt ja auch zum Übergang aus dem Tod in ein neues Leben), das in dem schönen kleinen Buch (himmelblau eingebunden) so abgebildet ist, wie Farogh es geschrieben hat ― in arabischen Schriftzeichen, wie das Persische geschrieben wird.

Der Gedichtband heißt Sin (Sünde) und wurde 2010 von der University of Arkansas Press herausgegeben. Sholeh Wolpés nächstes Buch wird im März erscheinen: Sie hat die Konferenz der Vögel von Farid-Ud Din Attar neu übersetzt. Im Internet Sacred Text Archive gibt es die Übersetzung von FitzGerald aus dem Jahr 1889 unter dem Titel Bird Parliament.

Nun also ein persisches Gedicht, das jemand ins Englische und ein anderer ins Deutsche übersetzt hat. Aber besser, als das Gedicht gar nicht zu kennen.

Wiedergeboren

All mein Wesen ist ein dunkler Vers,
der dich wiederholt, bis zur Dämmerung
unvergänglichen Blühens und Wachstums.
Ich beschwor dich in meinem Gedicht mit einem Seufzen herauf
und schrieb dich ein in Wasser, Feuer und in die Bäume.

Vielleicht ist das Leben eine lange Straße,
die eine Frau mit einem Korb jeden Tag überquert;
vielleicht ist das Leben ein Strick,
mit dem sich ein Mann an einem Baum aufhängt
oder es ist ein Kind, das von der Schule heimkommt.

Vielleicht ist das Leben wie eine Zigarette anzünden
in der lustlosen Pause zwischen dem Sichlieben
oder der leere Blick des Vorbeigehenden, der die Hand
an seinen Hut legt und sagt Guten Morgen!
mit einem bedeutungslosen Lächeln.

Vielleicht ist das Leben ein gedämpfter Moment, wenn mein Blick
sich in deinen Pupillen selber auslöscht —
Ich will diese Empfindung vermischen mit meinem Griff
nach dem Mond und dem Verstehen der Dunkelheit.

In einem Raum von der Größe der Einsamkeit
hat mein Herz die Größe der Liebe.
Es betrachtet seine einfachen Vorwände fürs Glücklichsein:
die Schönheit der Blumen, die in ihrer Vase welken,
den Spross, den du in den Garten pflanztest
und den Gesang der Kanarienvögel  ― von der Größe eines Fensters.

Leider ist das mein Schicksal.
Dies ist mein Schicksal.
Mein Schicksal ist ein Himmel, der weggeschlossen werden kann,
indem man einfach einen Vorhang aufhängt.
Mein Schicksal ist es, eine einsame Treppe hinabzusteigen
zu etwas, das verrottet und in seinem Exil zerfällt.
Mein Schicksal ist trübsinniges Wandern im Gehölz der Erinnerungen
und Sterben aus Sehnsucht nach einer Stimme,
die sagt: Ich liebe deine Hände.

Ich pflanze meine Hände in die Gartenerde —
Ich werde gedeihen.
Ich weiß, ich weiß, ich weiß.
Und in der hohlen Fläche meiner tintenbeschmutzten Hände
werden Schwalben ihre Nester bauen.

Ich werde meine Ohren mit Zwillingskirschen schmücken
und Dahlia-Blüten auf meinen Nägeln tragen.
Es gibt eine Allee, in der noch Jungs stehen, die mich einst liebten
mit demselben zerzausten Haar, dünnen Hälsen und Beinen,
die das unschuldige Lächeln eines jungen Mädchens betrachten,
das eines Nachts fortgewischt wurde durch den Wind.

Es gibt eine Allee, die mein Herz weggestohlen hat
vom Rasen meiner Kindheit.

Ein Körper, der entlang der Zeitlinie reist,
imprägniert die herbe Schnur der Zeit
und kehrt zurück vom Fest der Spiegel
und ist vertraut mit seinem eigenen Bild.

Kein Suchender wird je Perlen in einem Strom finden,
der in einen Abfluss mündet.

Ich kenne eine traurige kleine Fee, die im Meer lebt
und zärtlich die hölzerne Flöte ihres Herzens spielt,
zärtlich …
Eine traurige kleine Fee, die des Nachts mit einem Kuss stirbt
und wiedergeboren wird mit einem Kuss zur Dämmerung.  

 

 

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