Flugverkehr (64): der Kormoran und anderes Gefieder

Ich sei ein Vogelfreund, meint Helmut, und da hat er recht. Und schickt mir manchmal Fotos von welchen, und auch andere, und dann ist ganz überraschend doch irgendwo in der Ecke ein fliegender Vogel drauf. Ein Prunkstück ist der Kormoran, den er im Spätherbst am Gardasee fotografiert hat. Und ich habe eine Gedichtstelle dazu gefunden, was für ein Wunder! Aber erst Derek Walcott, der Poet aus der Karibik (St. Lucia), den ich verehre. 86 Jahre ist er jetzt alt (5 Monate jünger als meine Mutter). Weiße Reiher ist ein Buch, das man im Regal stehen haben sollte.  Auf unangestrengte Art entsteht da ein Rhythmus, dem man nicht widerstehen kann. Und das ist höchste Kunst mit großem Vokabular und dem sicheren Strich des Landschafts- und Stimmungsporträtisten. Wir haben ja meist Graureiher, auf Englisch slate heron, und Walcott schreibt:

I fly like the slate heron to desolate places,
to the ribbed wreck that moss makes beautiful,
where the egret spreads its wings lest it totter
on the aimed prow where crabs scraps for a perch, 
all that vigour finished with which I sought a
richer life than this half-hearted search.

(Wie der Graureiher fliegt er zu abgeschiedenen Plätzen, zu einem schönen, von Moos bewachsenen Wrack mit anderen Reihern und Krabben, und er denkt: Der ganze Elan, mit dem ich mir ein reichhaltigeres Leben wünschte und nicht diese halbherzige Rumtun, ist dahin.)

Hier nun der Kormoran vom Gardasee.

gardasee-kormoran

Ted Hughes ist im selben Jahr wie Walcott geboren, 1930, starb aber 1998. In dem Band Etwas muss bleiben (1995) geht es viel um die Natur, und wenn ich so hineinschaue, merke ich, dass ich fast nichts daraus gelesen habe. Hughes ist auch ein Meister. Wie Walcott schreibt er über sich und die Welt, scharf beobachtend, alles zulassend, klar und dennoch wie beiläufig. Das Gedicht Ein Kormoran beginnt damit, dass der Dichter sich selbst beim Fischen zuschaut. Das ist etwas humoristisch, wie er, ausgerüstet wie für ein Jahr im Pleistozän, in den Fluss hineinwatend, hoffend, dass ein Fisch, von Telepathie überwältigt (some fish, telepathically overpowered), anbeißen möge.  Dann:

The cormorant eyes me, beak uptilted,
Body snake-low – sea-serpentish.

He’s thinking: ‚Will that stump
Stay a stump while I dive?‘ He dives.

He sheds everything from his tail end
Except fish-action, becomes fish,

Dissappears from bird,
Dissolving himself

Into fish, so dissolving fish naturally
Into himself. Re-emerges, gorged,

Himself as he was, and escapes me. (…)

Zurück bleibt Hughes oder der Dichter in seiner Raumfahrermontur. Der Kormoran (österreichisch, sagt mein Fremdwörterbuch) hatte bei ihm zuvor gedacht, ob wohl das Ding, auf dem er sitzt (der Stumpf), so bleiben würde, wenn er mal kurz tauchte? Wirft alles ab, springt hinein, löst sich auf und wird Fisch, löst Fisch auf und wird wieder er selbst. Eine Art Metamorphose, wie bei Ovid. Knapp und klar geschrieben, und der Vorgang ist ja auch ganz natürlich und geschieht rasch. Der Kormoran denkt sich nichts dabei, aber wir, wir Schwerfälligen (die wir ja eigentlich aus dem Meer kamen …), sind bezaubert.

castelletto_di_brenzone_friedhof_3Der Friedhof von Castelletto di Brenzone, und ganz oben fliegt da ein Vogel.

am_peissenberg_2_swAm Peissenberg sitzen ein paar Vögel im Baum.

img_1360Fotografiert irgendwo. Und am Ende noch die Möwe, nicht die von Tschechow, sondern von Helmut Krämer (wie die anderen Bilder auch).

kraemer_helmut_moeve

 

 

 

 

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