Magri unter Italienern

Vor vielen Jahren (etwa 2003) hatte ich die Via Tasso 155 in Rom besucht, berüchtigtes Gefängnis der Nazis in Rom 1943/44. Das Buch Una vita per la libertà von Mario Magri gekauft. Jetzt erst habe ich es herausgeholt und gelesen. Beklemmend.

Man meint ja immer, der Duce – Benito Mussolini – sei doof und eitel gewesen, aber sonst gutmütig; ein Schreihals und Choleriker, klar. Damals, im faschistischen Italien von 1923 bis 1943, wurden die Linken und die Politischen ins Asyl geschickt und drangsaliert, wo es ging. Mario Magri wurde verurteilt und von einer öden Insel zur nächsten geschickt, 17 Jahre lang, damit er die Regierenden nicht störte. Sein Buch, Ein Leben für die Freiheit, erzählt sein Leben in der Verbannung.

In Deutschland wurde 1973 das Buch Christus kam nur bis Eboli von Carlo Levi bekannt, und Francesco Rosi drehte den gleichnamigen Film 1979 mit Gian Maria Volonté in der Hauptrolle. Der Held ist in eine rückständige Gegend verbannt und schlägt sich mit den Honoratioren und seinen Aufpassern herum. Die Armut der Bevölkerung steht im Mittelpunkt.

Italien stand länger unter dem Bann der Faschisten als Deutschland. Sie regierten ab 1923 20 Jahre lang. Mussolini verschickte ihm unliebsame politische Aktivisten in abgelegene Gemeinden, wo sie jahrelang Repressalien ausgesetzt waren. Da ist es nur ein schwacher Trost, dass deutsche politische Gefangene im Konzentrationslager landeten und gleich umgebracht wurden. Es waren keine Ferienaufenthalte. Mario Magri, ein bekennender Linker, wurde 1926 auf der Straße in Mailand festgenommen und erst einmal auf die Liparischen Inseln geschickt.

Mario Magri und seine Frau Rita

Mario Magri und seine Frau Rita

Ich fühlte mich sehr an den Roman Il partigiano Johnny von Beppe Fenoglio erinnert, über den ich schrieb, es sei ein Werk »von epischer Breite, und am Ende, als Johnny tagelang in einer wahren Schneewüste umherirrt, ausgefroren und heimatlos, dehnte sich für mich, den Leser, die Zeit: Es wollte kein Ende nehmen; ich verlor mich auf den öden Hügeln und in den Senken, wo überall ein Hinterhalt drohte«.

Auch Magris Geschichte ist eine fast unendliche. Man muss sich über seine Lebenskraft wundern. Nach ein paar Jahren auf Lipari wird er nach Ponza geschickt, unternimmt Fluchtversuche, wird geschnappt, landet auf den Isole Tremiti, am Ende in Cirò und Petronà. Immer wieder wird seine Verbannung verlängert, am Ende wird er 17 Jahre unterwegs gewesen sein, fast wie Odysseus, dessen »Odyssee« 20 Jahre währte.

Überall Schikanen, Verbote, Urteile und Regeln; er lebt mit 30 anderen in einem Zimmer, hungert, bekommt wieder Einzelhaft, wird mit Kommandos in Gefängniszügen durch Italien geschickt, erlebt Elend und die fürchterlichsten Haftanstalten Süditaliens. Magri muss sich mit arroganten Faschisten herumschlagen, die ihn mit Vergnügen drangsalieren, mit Herumtreibern und Kriminellen der schlimmsten Sorte, aber er bleibt immer korrekt und standhaft. Er verweigert den »römischen Gruß« und will sich auf keine Weise mit dem Faschismus arrangieren.

17 Jahre unterwegs. Es geht nur darum, zu überleben. Zum Glück kann er Rita heiraten, die dann auch ein paar Jahre unter unwürdigsten Bedingungen mit ihm leben darf. Und dann, endlich, nach allen Qualen, kommt am 25. Januar 1943 die Nachricht von Mussolinis Ende.

Das Schlusswort stammt von Mario Magris Frau. Das Paar ist nach Bologna gereist und dann nach Rom. Magri durfte sich ein halbes Jahr der Freiheit erfreuen. Dann wird er von den Deutschen festgenommen. Man sperrt ihn in der Via Tasso 155 ein. Alles vorher war schrecklich und widerwärtig, aber nun ist er in der Hölle angekommen. Die Deutschen kennen kein Pardon. (Meine Mutter, sonst immer cool, sagte bei unserem Besuch dort: Mich fröstelt. Mir wird es kalt an den Beinen. Dort war so viel Schreckliches 004geschehen.) Ein Bombenattentat in der Via Rasella (Bild rechts) vom 23. März 1944 kostet 33 Südtirolern des Polizeiregiments »Bozen« das Leben. Hitler will für jedes Opfer 10 Italiener sterben sehen. So werden 335 Menschen in den Fosse Ardatine auf Befehl von Feldmarschall Kesselring erschossen, unter ihnen auch Mario Magri. Die Angehörigen erhielten, wie üblich, als Nachricht nur ein paar Zeilen:

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