Psyche lenkt Körper

In meinen zuletzt gelesenen Romanen fand ich drei Stellen, bei denen jemand durch Kummer krank wird. Die Seele (oder Psyche) wirkt eben auf den Körper, das wissen wir, und insofern ist das nicht verwunderlich. Uns wird aber immer wieder weisgemacht, der Körper sei eine Art Maschine, abgetrennt vom Geist.

Der Placebo-Effekt meint die segensreiche Wirkung menschlicher Zuwendung: Man wird behandelt, glaubt an die Kraft des anderen, der Körper mobilisiert Reserven und wird gesund. Das Medikament ohne Wirkstoff (Placebo) funktioniert, weil wir ans Medikament glauben. Und manchmal gibt es eben auch negative Wirkungen in diesem Umkreis: Wir werden enttäuscht, unser Lebenswille erlahmt, ― und wir erkranken.

Ich kann mich an zwei deutliche Beispiele aus meinem Leben erinnern. Im ersten Fall erfuhr ich telefonisch, dass das Erscheinen meines (ersten) DSCN0469Romans von Verlagsseite um ein Jahr verschoben wurde … und 30 Sekunden später war ich erkältet. Die Nachricht hatte mein Immunsystem auf der Stelle plattgemacht. Ähnlich war es Jahre danach in Frankfurt auf der Buchmesse, wo ein anderer Verlag mir eröffnete, mein (zweiter) Roman werde erst ein halbes Jahr später auf den Markt kommen; da gebe es jemanden, der vorher dran sei. Zu Hause war ich dann ziemlich krank. Die ganzen Viren, die da auf der Messe herumschwirren, sind zwar gefährlich, aber ein Mensch im Normalzustand wehrt die ab. Mein Immunsystem war aber wiederum ausgeschaltet durch den Schock, ich kippte um.  (Rechts: Selbstbildnis. Krank, November 2007)

In dem Roman Septemberlicht von Horst Bienek (wird am 30. April vorgestellt) tritt eine Klavierlehrerin auf, Valeska Piontek. Ihre Tochter Irma hatte – ähnlich wie Claire in dem Buch von gestern – keine Lust aufs Klavier, Valeska schrie bei den Stunden herum und schlug ihr sogar so hart auf die Finger, dass diese bluteten … »da hatte sie sich ins Bett gelegt, Fieber bekommen und Nervenkrämpfe, und war erst wieder gesund geworden, nachdem Mamuscha feierlich, also im Beisein von Papusch, darauf verzichtet hatte, aus ihr eine Pianistin zu machen.«

Auch der Erfinder Nikola Tesla wurde schwer krank, als man ihn auf ein Priesterseminar schicken wollte. Sein Tod stand bevor, doch er konnte seinem Vater noch zuflüstern, er würde gern Ingenieur werden; der Vater versprach es ihm, und Tesla wurde wieder gesund. Seine Lebensgeister waren wieder da. Wenn der Lebenswille erloschen war – das zeigte sich in Konzentrationslagern – starb der Betreffende rasch.

Léa liebt im Roman La bicyclette bleue Laurent, der jedoch Camille ehelicht. Léa muss dabeisein, und danach sollte sie Claude heiraten, dessen 014Bruder, dem sie etwas übereilt ihre Hand versprach. Sie kehren von Laurents Heirat zurück, da bricht Léa plötzlich im Wagen zusammen, hat ein wächsernes Gesicht, fröstelt, bekommt Fieber. Sie hat einfach Horror vor der Hochzeit, die für Anfang November geplant ist. Der Hausarzt diagnostiziert Masern, die Hochzeit wird abgesagt, Claude muss zur Front und wird bald darauf getötet. Léa ist wieder frei.

Dann sitzen sie und Camille, Laurents schwangere Frau, in Paris fest. Léa möchte unbedingt mit dem Auto nach Bordeaux, auf ihr Weingut, denn sie vermisst ihre Mutter. Der Arzt verbietet es. Léa beschwört ihn, aber er bleibt hart. »Weinen führt zu nichts«, sagt Docteur Rouland, »das macht Sie nur krank.« Und nun wird sie tatsächlich krank, hat hohes Fieber, spricht drei Tage lang im Delirium, und der Arzt hat keine Diagnose zur Verfügung. Eine Woche später ist Léa wieder gesund, wenngleich geschwächt; und man lässt die beiden abreisen. (Rechts:Tunnelblick. Alles fern.)

Irma und Léa … Werden Frauen häufiger aus seelischer Ursache krank? Es scheint so. Sie sind sensibler und vielleicht näher an ihrem Körper dran, und sie sind vielleicht leichter zu beeinflussen. Wir vergessen nicht die vielen »hysterischen« Patientinnen der Star-Ärzte in Paris zwischen 1860 und 1890, Pierre Janet und Jean-Martin Charcot. Ihr Krankheitsbild war unklar, Charcot hatte nur eine vage medizinische Definition, und unbewusst erfüllten die Frauen, was er von ihnen »erwartete«. Mit seinem Tod starb auch die Hysterie als Krankheit.

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