Gewaltritte

In der Woche vor Ostern, die ich in der Schweiz verbrachte, tat ich zwei Gewaltritte mit dem Fahrrad. An einem Tag fuhr ich um 12 Uhr mittags von St. Gallen im Osten los, um Zürich zu erreichen, drei Tage später startete ich im westlich gelegenen Rothrist (bei Olten), um durchs Mittelland nach Züri heimzukehren. Beide Male: blauer Himmel, frische Luft, wenig Verkehr, gelbgrüne Wiesen, glitzernde Wasserflächen: göttlich. Die Strecke von St. Gallen kannte ich freilich. Durchs westliche Appenzell geht’s bis Waldstatt (südlich von Herisau gelegen), dann folgt eine Steigung bis St. Peterzell, danach darf man ein paar richtige Serpentinen hochfahren zur Wasserfluh, die 800 Meter hoch liegt. Von Wattwil klettert man dann wieder, hoch zum Ricken, aber auch der macht einem nicht Angst. Unten lockt auf der linken Seite in der Ferne der Zürisee, man rauscht hinunter, und irgendwann jagt man dann neben der glitzernden Fläche des Sees her, auf Zürich zu, da kommt man in Trance, nur stören freilich die Piloten der schweren Limousinen, ein ewiges brünstiges Motorengeröhre ist um einen, und dann muss man noch durch die Stadt. Exakt nach sechs Stunden war ich wieder zurück. Bierchen, Spaghetti, Sonnenuntergang … der zwei Tage später allerdings etwas wolkig ausfiel.

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Für die Tour am nächsten Tag in den Westen dachte ich mir jedoch: Abendrot – Schönwetterbot‘. Hat auch gestimmt. Ich nahm einen Zug nach Aarau und eine S-Bahn nach Olten/Rothrist und fuhr ins Hügelland hinein. Erreichte Sursee am Sempachersee und bewegte 028mich dann, in guter Form, hinüber nach Beromünster. Da wollte ich hin, den Namen kannte ich. Er stand auf der Skala meines Uralt-Radios, und uralte Menschen haben den Schweizer Landessender Beromünster, der 1931 in Betrieb ging, vielleicht während des Zweiten Weltkriegs gehört, weil er eine unabhängige Stimme war. So erfuhr man die Wahrheit, die einem deutsche Sender verheimlichten. Allerdings stand das Hören der BBC und von Radio Beromünster unter Strafe; man konnte dafür ins Gefängnis kommen, wenn ein Nachbar einen hinhängte. Beromünster! Heute erinnert nichts mehr daran, der Sender stellte Ende 2008 seinen Betrieb ein, und die Innenstadt sieht aus, wie schöne Schweizer Städte eben aussehen.

029Das Mittelland weist viele hintereinander geschichtete Höhenzüge auf, und auch nach Muri muss sich emporkämpfen. So kommen eine Menge Höhenmeter zusammen, und das will man ja: Formaufbau für die Saison. Auch die Kirche von Muri zeigt (wie Beromünster) viel Rot, sogar im Doppelpack. Vorher hatten mich fünf Kühe angeblickt, nachdem sie erst davongaloppiert waren. Später begriffen sie, dass von mir keine Gefahr ausging.

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032Von dort nach Affoltern am Albis, doch über den Pass muss man nicht. Noch 24 Kilometer bis Zürich. Durchfahrt durch Birmensdorf, wo Ferdy Kübler gelebt hat, der große Schweizer Radrennfahrer der 1950-er Jahre, der Ende 2016 mit 97 Jahren gestorben ist. Er war der harte Arbeiter, der Planer und Placker im Geschäft, dessen härtester Konkurrent der schöne, lässige Hugo Koblet war (ich lese gerade die Biografie von Daniel Sprecher), der alles leicht nahm, die Frauen und das Essen liebte, mit dem Geld nicht zurechtkam und dem Geschäft des Lebens nicht gewachsen war. Er ging schon mit 39 Jahren von der Bahn.

Dann rollte ich nach Zürich ein, tastete mich von Albisrieden vor, bis mir etwas bekannt vorkam, ach ja, die Hardbrücke, oben dann der Bucheggplatz, und dann, sieben Stunden nach dem Start in Rothrist, war ich wieder daheim. Bierchen und eine riesige Menge Spaghetti, aber erst nach dem Sonnenuntergang, der den Ausflug krönte.

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