Das Hexengericht

Warum interessiere ich mich für Hexen? In 14 manipogo-Beiträgen (von insgesamt 1324) taucht der Begriff auf. Ist ja klar: Frauen, das Übernatürliche, Erotik, Gewalt, Männerherrschaft … dieser Mix muss einen fesseln. Darum las ich Das Hexengericht von Leonardo Sciascia, dem Sizilianer, von dem ich schon einmal ein Buch besprochen habe.

3c23495rDabei entdeckte ich eine Lücke im System. Ich hatte mir ein Buch ausgeliehen und mir keine Notizen darüber gemacht. Es ließ sich aber rekonstruieren: Das Buch hieß Demon Lovers, und ich hatte nach übernatürlichen Liebhabern gesucht. In dem Buch von Walter Stephens (2002) ging es aber nicht um dänomische Liebhaber, sondern um die Liebhaber von Dämonen, das Englische lässt beide Lesarten zu. Der Untertitel war witchcraft, sex and the crisis of belief.

Der Autor erklärte, dass nicht, wie mancherorts behauptet, eine Million Hexen im Mittelalter verbrannt wurden; es seien vielleicht 50.000 gewesen, was ja deprimierend genug ist. Und: Die Verfahren gegen die Hexen sollten nachweisen, dass es den Teufel und Dämonen gab. Und die Folter führte immer zu den gewünschten Ergebnissen. Die Kirche konnte weiter Angst verbreiten. (Illustration: Albrecht Dürers Hexe, rückwärts auf einem Ziegenbock reitend, begleitet von Putten. Dank an Library of Congress, Wash. D. C.)

hexeLeonardo Sciascia (1921-1989) arbeitet in seinem Buch, das 1986 erschien, mit historischen Quellen und erinnert an den Ethnologen Carlo Ginzburg, seinen Landsmann, der mit Hexensabbat (1990) ebenfalls eine wahre Geschichte rekonstruierte. Das Hexengericht ist die erste von drei Episoden und umfasst nur 70 Seiten. (Links: die Hexe im Märchen. Illustration von Ruth Koser-Michaëls aus meinem Grimms-Buch von 1937)

Die Geschichte spielt vor ziemlich genau 300 Jahren. Der Senator und Jurist Luigi Melzi, 1554 geboren, litt Ende 2016 unter heftigen Leibschmerzen. Der Hauptmann Vacallo sieht bei ihm Caterina Medici, eine etwa 40-jährige Magd, die früher bei ihm zu Diensten war – und kombiniert. Sie müsse an der Krankheit schuld sein. Man sucht findet verdächtige Gegenstände. Der Magistrat wird eingeschaltet. Man verhört Caterina. Sie soll hässlich gewesen sein, aber Sciascia hält das für gelogen.  Interessant wird sie gewesen sein, meint er.

Sie erzählt ihr Leben. In vielen Haushalten war sie, unter anderem bei drei Hauptleuten, und einem gebar sie vier Kinder. Bei Hauptmann Vacallo war sie auch im Dienst, der in ihre Kollegin Caterinetta heftig verliebt war, sie jedoch nicht heiraten wollte und sich nicht anders zu helfen wusste, als die junge Frau wegzuschicken. Auf irgendwelchen Gründen hatte Vacallo etwas gegen Caterina, und als er sie in Melzis Haushalt sah, schwärzte er sie an.

Caterina plaudert und merkt natürlich, was die Richter wissen wollen … auch bei Psychiatern haben Frauen oft das abgeliefert, was diese sehen wollten. Sie sagt, sie habe den Juristen verhext, redet über eine Margherita, die sie in die Hexerei eingeweiht habe, sie wird immer blumiger und detailreicher, und als die Folter droht, bringt sie alle möglichen Toten ihres Lebenswegs ins Spiel – Kinder und Alte  -, und sie bezichtigt sich, daran schuld zu sein. Damit liefert sie sich ans Messer.

Am 4. Februar 1617 endete der Prozess, am 4. März wurde Caterina auf einem Karren zur Piazza Vetra von Pavia gefahren und auf dem Weg mit glühenden Zangen gezwickt; dann wurde sie oben auf dem Gerüst erwürgt wie auf einer Bühne. Viele Menschen waren Zeugen. Ihr Körper wurde verbrannt.

Eine Analyse von Sciascia:

Vorstellungen und Legenden der Vergangenheit, Wunder und Ängste, die zum Volksglauben gehörten, wurden in den Augen der katholischen Kirche zur Bedrohung, zu Elementen einer Religion des Bösen, die sich der katholischen – der des Guten – entgegenstellte. Und jene alten Märchen und Legenden verwandelten sich in eine Gefahr, sie wurden dazu gemacht, und zwar aus dem bekannten und ewig gültigen Grunde, dass jede Tyrannei sich etwas erschaffen muss, auf das sie zeigen kann, und das sie für die Auswirkungen der von ihr verschuldeten Ungerechtigkeit, von Elend und Leid der unter ihrem Joch Lebenden verwantwortlich machen kann.

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