Goethe und Riekchen

Beim Anflug auf Karlsruhe war ich durch Seesenheim gekommen und hatte die kleine Säulenhalle für Goethe bewundert. Als er dort Friedrike Brion traf, als Strassburger Student, war er 22 Jahre alt, war noch nicht Goethe, sondern noch Johann Wolfgang. Heute ist sein Geburtstag, der 268. Alles Gute, Johnny!

Ich nahm mir also das Elfte Buch von Dichtung und Wahrheit vor, das ausgedehnt die Geschichte mit Friedrike behandelt. Es war eine veritable Liebesgeschichte mit allen Verwirrungen, die es sich denken lässt, mit einem Liebesgeständnis und einer Entfremdung, die er nicht richtig thematisiert. Friedrike soll danach keine Männer mehr gehabt haben, heißt es auf einer Tafel in Seesenheim, und man denkt: Kein Wunder, die Aura des Meisters als junger Mann war wohl umwerfend. Doch man weiß natürlich nicht, ob das stimmt. Sie starb mit 45 Jahren.

So zeichnete Goethe das Pfarrhaus in Seesenheim. Er hätte besser Friedriken gezeichnet

So zeichnete Goethe das Pfarrhaus in Seesenheim. Er hätte besser Friedriken gezeichnet

Alles eingehend zu lesen, fehlte mir die Konzentration. Weyland, ein Freund Goethes, kannte den Pastor Brion und seine hübschen Töchter, und sie ritten hin. Goethe zog sich absichtlich ärmliche Kleider an. Weyland versprach sich von der Verkleidung einen ordentlichen Spaß. Das war damals vielleicht so Mode. Wenn man an die Werke von Cholderlos de Laclos oder Sir Walter Scott denkt, die in jener Zeit lebten, dann fallen einem die vielen Verwechslungen und Vertauschungen auf.

Goethe schämt sich und erwirbt die Kleider eines Bauern, der George heißt. Er schreibt: »Er war von meiner Gestalt und hatte mich flüchtig an mich selbst erinnert.« Goethe verbirgt sein Gesicht und wird nun für George gehalten, was dann verwunderlich wirkt, als er mit Friedrikens Hand in der seinen angetroffen wird. Irgendwie schämt er sich wieder und gesteht alles, aber sie verzeiht ihm.

Friedrike muss äußerst charmant gewesen sein, und Goethe beschreibt sie eingehend und innig. Sie verzauberte alle, war aber ein Geschöpf der Natur, wie der scharfe Beobachter erkannte, das Jungfrau-Sternzeichen Goethe. Später besucht sie ihn mit Familie in Strassburg, und da fühlt sie sich sichtlich unwohl. Ist ja auch schrecklich, Kommoden, Teppiche, Spiegel, Wände und Kutschen unten in den Gassen. Da Goethe promovieren wollte und viel zu tun hatte, schlief ihre Beziehung wohl langsam ein. Auch seine spätere Frau Christiane ließ Goethe viel alleine; er musste arbeiten, und weg war er.

Den Abschied gab es, begleitet von einem übernatürliches Begebnis:

In solchem Drang und Verwirrung konnte ich doch nicht unterlassen, Friedriken noch einmal zu sehn. Es waren peinliche Tage, deren Erinnerung mir nicht geblieben ist. Als ich ihr die Hand noch vom Pferde reichte, standen ihr die Tränen in den Augen, und mir war sehr übel zumute. Nun ritt ich auf dem Fußpfade gegen Drusenheim, und da überfiel mich eine der sonderbarsten Ahndungen. Ich sah nämlich, nicht mit den Augen des Leibes, sondern des Geistes, mich mir selbst denselben Weg zu Pferde wieder entgegenkommen, und zwar in einem Kleide, wie ich es nie getragen: es war hechtgrau mit etwas Gold. Sobald ich mich aus diesem Traum aufschüttelte, war die Gestalt ganz hinweg. Sonderbar ist es jedoch, dass ich nach acht Jahren in dem Kleide, das mir geträumt hatte und das ich nicht aus Wahl, sondern aus Zufall gerade trug, mich auf demselben Wege fand, um Friedriken noch einmal zu besuchen. Es mag sich übrigens mit diesen Dingen wie es will verhalten, das wunderliche Trugbild gab mir in jene Augenblicken des Scheidens einige Beruhigung. Der Schmerz, das herrliche Elsass, mit allem, was ich darin erworben, auf immer zu verlassen, war gemildert, und ich fand mich, dem Taumel des Lebewohls endlich entflohn, auf einer friedlichen und erheiternden Reise so ziemlich wieder.

Er fand sich also wieder. Der Bauer, der ihn an sich selbst erinnert, war schon merkwürdig; nun auch noch ein Blick in die Zukunft, was erst die Zukunft erwies. Mit den Augen des Geistes. Beim Reiten ist man (wie beim Radfahren manchmal) etwas abwesend, fast in Trance, und da treten Bilder aus dem Untergrund ins Bewusstsein. Andere erleben das im Traum. Man hat gehört, dass Menschen einen schrecklichen Traum hatten, der erst nach zwanzig Jahren wahr wurde. Da fällt mir auf, dass die Zukunft immer wieder hier thematisiert wird; sie ist schon hier, in groben Zügen angelegt (wenngleich noch veränderbar), und das können wir ruhig glauben.

 

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