Im Tal des Vajont

Ein wunderbares Lese-Erlebnis gehabt: Im Tal des Vajont von Mauro Corona, erst vor vier Jahren erschienen. Es ist einer Bergler-Geschichte voller Tragik, Leidenschaft, Liebschaften, Tod und Verhexung. Auf einer Zugfahrt nach Karlsruhe und zurück habe ich es fast ganz gelesen, das Finale zu Haus. Ich musste es wissen.  

Mauro Corona ist ein 1950 geborener, erfolgreicher italienischer Schriftsteller (aber auch Alpinist und Bildhauer). Kürzlich las ich über ihn und sah ihn an seinem Arbeitsplatz: Er war in eine Fernsehdiskussion des Senders La7 zugeschaltet (L’aria che tira), es ging um die Einwanderung, und er lieferte sich einen harten Wortwechsel mit der Rechtspolitikerin Alessandra Mussolini, die natürlich gegen Einwanderung ist. Danach stand die Mussolini plötzlich auf, sagte, sie sei jetzt müde und verließ das Studio. Der Schriftsteller im fernen Friaul sieht gelassen zu.

Er lebt in dem Ort, in dem die Handlung des Buches angesiedelt ist: in Erto e Casso im Friaul (nordöstlichstes Italien), 381 Einwohner. Der Ort kam gerade davon, als sich am 9. Okotber 1963 ein Bergsturz ereignete. Steinmassen rauschten in den See, der von der Vajont-Staumauer eingeschlossen war, und die Flutwelle fegte zwei Dörfer weg. Zweitausend Menschen starben. Alle Italiener wissen etwas über die Katastrophe von Vajont.

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Doch die Geschichte des Buches spielt weitaus früher, von 1895 bis 1920. Mauro Corona (ein gängiger Name in der Gegend) erhält ein Manuskript, in dem Zino Corona sein Leben erzählt. Diese Aufzeichnungen gibt er wieder. Es wird eine wahre Geschichte sein, sie kann aber auch biografisch ausgeschmückt sein oder sich ganz anders ereignet haben – egal. So fängt es an:

Ich heiße Severino Corona, genannt Zino. Ich wurde am 13. Septembr 1879 in Erto geboren und habe immer auf diesem wilden und bergigen Flecken Erde gewohnt, wo es außer Arbeit nichts Gutes gibt, aber trotzdem lebe ich sehr gerne hier.

Zino erzählt sein Leben. Freilich hat der Autor Hand angelegt, aber so kunstvoll und gleichzeitig dezent, dass man Zino glaubt. Er verstrickt sich in eine heiße, gefährliche A ffäre mit der Frau seines besten Freundes, und von dort nehmen alle Verwicklungen ihren Ausgang, die in düsterste Tiefen führen. Schön, wie Corona immer wieder einen führt: Dann sollte etwas ganz Schreckliches geschehen, kündigt er an. Dann liest man mit Beklommenheit los.

Aber verraten will ich die Handlung nicht. Das Buch ist noch jung und noch lieferbar, kostet in der gebundenen Ausgaber derzeit nur 6,95 Euro. Eine perfekte Lektüre für ein paar Wintertage. Die Menschen dort oben leben einfach und haben keine großen Bedürfnisse. Ein Holzschnitzer im Buch (und im Dorf) arbeitet immer nur für eine Mahlzeit am Tag und einen Liter Wein. Wenn er das hat, legt er sein Werkzeug weg. Wie man es von Afrika hört. Die auf den Bergen kennen die Natur und ihre Tiere gut, sind aber misstrauisch und in sich gekehrt, auf sich bezogen. Wenn die Leidenschaften ausbrechen, tun sie es jäh und auf bedrohliche Weise, wenn man denen Glauben schenkt, die davon erzählen.

Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens, schrieb Rilke; ein Verwandter von mir war Almbauer, und ich kenne Leute auf den Bergen und fühle mich ihnen nah. Und wer das Buch Im Tal des Vajont liest, dem geht es genauso.

 

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