Angriff aufs Männer-System

124 italienische Schauspielerinnen, Regisseurinnen und Produzentinnen sagen »basta«. Es genügt. In der Nachfolge von #metoo lassen sie einen Aufschrei hören, der nicht Einzelne nennt, sondern ausdrücklich dem System gilt: der absoluten männlichen Mehrheit (überall, vor allem da, wo es um die Macht geht).

Ich finde das natürlich gut. Weltweit werden Frauen benachteiligt und entrechtet, in Asien, Afrika und Amerika laufen sie so nebenher, abgespeist mit Brosamen. Es ist eine verdammte Männerwelt, denen bei uns Angela Merkel, auf den Inseln durch Theresa May und in Italien Laura Boldrini (merkt sie euch, sie ist tapfer und klug wie Emma Bonino) als Feigenblätter dienen, na ja, blödes Bild. Zu dem Beitrag passt jedenfalls die Fernsehkritik der FAZ zu einer Diskussion über den Fall Dieter Wedel – ein mächtiger Regisseur, nun mit Vorwürfen zu Gewalt und Sex konfrontiert.

Die italienische Kino-Szene? Kann man sich vorstellen. Der italienische Beau hält sich für toll, auch wenn er’s nicht ist; die Machtfrage: Mach mit, dann hast du die Rolle. Es läuft, wie die Filmfrauen in ihrem offenen Brief schrieben: »Gewöhnt euch daran oder haut ab aus dem System.« Genau: aus dem System. Spiel mit oder nicht – nimm dir einen Mann und krieg Kinder, statt berühmt werden zu wollen. Die wichtigste Passage aus der Erklärung Einmütiger Dissens (Dissenso comune)  lautet so:

Die sexuelle Belästigung ist ein allesübergreifendes Phänomen. Es ist ein System, keine Frage. Und sie gehört zu einer Ordnung, die offensichtlich ist, die sich auf die absolute männliche Dominanz in den Zentren der Macht bezieht, auf die ungleichen Löhne für gleiche Arbeit, auf die ständige Sexualisierung an den Arbeitsplätzen. Die  Ungleichheit der Geschlechter bei der Arbeit liefert die Frauen – und alle Frauen – dem Risiko aus, belästigt und dann implizit erpresst zu werden. Es passiert der Sekretärin, der Arbeiterin, der Einwanderin, der Studentin, der Spezialistin, der Haushaltsangestellten. Allen passiert es.

Nach der Weinstein-Affäre konnte man nicht glücklich mit dem Fortgang sein; ich fühlte mich an die Dynamik der  Beschuldigungen wegen sexuellen Missbrauchs in der Kindheit in den 1980-er Jahren erinnert. Da gruben Therapeutinnen bei Patientinnen irgendwelche vagen Erinnerungen aus, die umgedeutet wurden und auch Unschuldige ins Verderben stürzten.

Die Metoo-Geschichte fing harmlos an, und dann wurde sie stärker und riesig wie eine Schneekugel, die zu einer donnernden Lawine wird. Viele Männer verloren ihre Posten, aber wirklich unschuldig waren die wenigsten; sie waren alle verstört und reagierten unschuldig-naiv, weil das System so natürlich funktioniert hatte. Konnte plötzlich falsch sein, was immer normal gewesen war? Es war falsch von Beginn an, aber es wurde nicht klar. Männer unter sich. Zum Glück gibt es sie in dieser Reinform von früher nicht mehr, und wenn es sie noch gibt, haben sie gelernt, sich zu verstellen.

Man muss nun keine Krokodilstränen darüber vergießen, dass dadurch womöglich die Verführung kriminalisiert wird. Die 124 Protagonistinnen betonen:

Die sexuelle Belästigung hat nichts mit dem »Spiel der Verführung« zu tun. Wir kennen unsere Lust sowie die Grenze zwischen dem Begehren und dem Missbrauch, der Freiheit und der Gewalt.

Die kritische Masse ist erreicht. Es gibt kein Zurück. Die Öffentlichkeit ist hellhörig geworden, niemand kann sich mehr verstecken oder herausreden. Dass ein paar dreiste Grabscher entlassen werden, ist nur ein erster Schritt. Die ganze Gesellschaft muss wach werden, es muss strukturelle Reformen geben. Für das Jar 2018 ist das ein glänzender Anfang.

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