AC/DC

Auf meiner ersten 100-Kilometer-Rennradtour ins Elsass fiel mir ein, wie es im Blog weitergehen könnte, ohne dass ich zuviel Arbeit hätte. Wir bleiben bei der Musik, und ich bringe einen Abschnitt aus meinem Buch Elektrosmog von 2017. Da geht es um elektrisch verstärkte Rockmusik: Wie das anfing. Mein Verleger wird das schon billigen, ist ja Werbung, und vielleicht kauft jemand das Buch …  Im zweiten Teil geht es um die elektronische Musik in den Clubs.

AC/DC hatte ich das Stück überschrieben, und Malcolm Young, legendärer Rhythmusgitarrist der Band, ist mittlerweile (im November 2017) gestorben. Ein Nachruf von Frank Schäfer in der Zeit ist mir im Gedächtnis geblieben, er hat die Essenz erkannt. Schäfer beschreibt ein Konzert im Niedersachsenstadion Anfang der neunziger Jahre. Angus‘ Leadgitarre fiel aus. »Sein Bruder Malcolm indes schlug weiter seine Akkorde. Er wurde nicht schneller, nicht langsamer, gab keine einzige Note, keine einzige rhythmische Variante dazu und ließ auch nichts weg. Er schlug einfach seine Akkorde. Und schlug. Und schlug. Minutenlang war nur diese sattsam bekannte Riff-Folge zu bestaunen. Aber das reichte vollkommen, das Publikum explodierte förmlich. … Kein Angus-Solo hätte diese konzentrierte, rohe Durchschlagskraft haben können, das war die Essenz von AC/DC, und 50.000 Menschen wussten es und feierten ihn dafür.« Die brachiale Energie elektrisch verstärkter Rockmusik!

AC/DC

AC/DC lautet die englische Abkürzung für Alternating current/direct current. Die australische Rockband heißt also „Wechselstrom/Gleichstrom“, und ihre erste Langspielplatte war 1975 mit „High Voltage“ betitelt: Hochspannung. Angus Young spielt seit damals eine explosive Leadgitarre, sein Bruder Malcolm, mittlerweile angeblich an Demenz erkrankt, war Rhythmusgitarrist. Er setzte, ganz passend, als erster einen Funksender ein, um nicht andauernd über Kabel zu stolpern. Die schottischen Brüder hatten mit „Highway to Hell“ einen Welterfolg. Das Video mit dem Song, als sie ihn 2009 in River Plate in Argentinien live spielten, wurde 211 Millionen Mal abgerufen. Das Publikum hüpft zu Tausenden synchron auf und ab, eine Sensation. Das ist Rockmusik: elektrisierend, weil elektrisch.

Daran gemessen, war der Rock‘n Roll mit Bill Haley 20 Jahre davor eher gemütlich gestartet, doch Rockmusik ist seither ohne die Elektrogitarre nicht zu denken, die Adolph Rickenbacker, Les Paul und Leo Fender zur Bühnenreife entwickelten. 1965 war noch ein wichtiges Jahr mit einem denkwürdigen Datum: dem 24. Juni, als der junge Bob Dylan, nunmehr ein alter Literatur-Nobelpreisträger, beim Newport Jazz Festival einen Set mit elektrisch verstärkten Instrumenten ablieferte. Zuschauer buhten, und in Manchester rief im selben Jahr ein Zuschauer „Judas!“ in die Stille zwischen zwei Songs hinein. Dylan hatte angeblich den politischen und sanften Folk verraten, indem er ihn elektrifiziert hatte. Heute lächelt man darüber.

Hintergrundmusik aus Lautsprechern in Cafés, Schuhgeschäften und Kaufhäusern darf man getrost als tönenden Elektrosmog bewerten. Musik hat aber auch andere Gefahren: Sei es, dass unvorsichtige Fans bei überlauten Konzerten Tinnitus für ihr Leben davontrugen, sei es, dass Gitarristen durch einen Stromschlag verstarben – wie 1972 Les Harvey von den „Stone Crows“ und 1976 Keith Relf, ehemals Yardbirds.

Schall ist die Bewegung von Materieteilchen in der Luft. Diese Ausbreitung geht mit 343 Metern pro Sekunde vor sich. Die Schallwellen wirken auf unsere Trommelfelle ein, die dann in bestimmten Frequenzen schwingen. Anschließend werden sie in elektrische Signale verwandelt, die das Gehirn als Töne interpretiert. Elektrische Signale trugen also die Musik, schon Jahrhunderte bevor die deutsche Band „Kraftwerk“ mit Ralf Hütter und Florian Schneider 1974 ihr Album „Autobahn“ vorlegte. Es galt als das erste Werk des „Elektropop“. Elektronische Musik stützte sich vorwiegend auf den Synthesizer und wurde möglich, weil der Transistor die Stromkreise miniaturisieren half. (Michael Faiss schrieb mir und berichtigte mich. 1974 war es. Ich hatte das Erscheinen des Albums auf 1985 gelegt. Steht leider so auch im Buch. Ist ein Fehler.)

Wie beim Computer waren die ersten elektronischen Musikinstrumente wahre Monster und mochten an Saurier erinnern. Das erste „Telharmonium“ des Amerikaners Thadeus Cahill, das nichts als ein radiotaugliches Piano war, wog sieben Tonnen, das dritte Modell drei Mal so viel: 20 Tonnen. 1920 zeigte der Russe Lev Termen sein „Ätherphone“ vor, das „Theremin“, das heute noch gespielt wird. Es besteht aus einer horizontalen und einer vertikalen Antenne, und der Spieler greift mit den Händen in die Luft dazwischen und erzeugt zauberhafte „ätherische“ Töne.

Solche brachte um 1770 auch die Glasharmonika hervor, und jeder kennt den Effekt, der entsteht, wenn man mit angefeuchtetem Finger die Oberkante eines Glases entlangfährt. Franz Anton Mesmer, der über den animalen Magnetismus nachdachte, und sein Zeitgenosse Benjamin Franklin, der den Blitzableiter einführte, freundeten sich zur selben Zeit mit der Glasharmonika an. Mesmer, der Heiler, baute ein Instrument, in dem verschieden hohe Wasserfüllungen in den Gläsern die Tonleiter wiedergeben half und magisch klang; Franklin, der Ingenieur, ließ den Spieler mittels Fußbetrieb eine Achse rotieren, auf der 37 Gläser angeordnet waren, und sein Gerät, das er in den Handel brachte, wirkte im Ton schärfer und metallischer. Franklin traf Mesmer in Paris und lehnte 1784, als er einer Gelehrtenkommission vorstand, dessen Magnetismus immerhin nicht vollständig ab.

Die Tonhöhen der wassergefüllten Gläser berechnete Athanasius Kircher (1602-1680) schon mathematisch. Auch Materie schwingt und reagiert auf Töne. Die Muster im Inneren eines Kristallgitters werden durch Schallwellen fast ebenso leicht gestört wie durch elektrische Energie; manche Kristalle sind natürliche akusto-elektrische Verstärker. Die Kreuzrippe im gotischen Kirchenbau zieht, durch die Strebepfeiler gestützt, die gesamte Spannung auf sich, und diese war derart groß, dass „die Maurergesellen, die unter Leitung von Viollet le Duc arbeiteten, entsetzt davonlaufen wollten, weil der leiseste Schlag auf bestimmte Steine Schallwellen auslöste, wie man sie sonst nur mit gespannten Stahlfedern oder Instrumentensaiten hervorrufen kann“.

Als nächstes: Elektrische Spannung im Club.

 

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