Psi-Experimente (II): Die Parapsychologie im Labor

Hier Folge II des dritten Essays. Wir begeben uns wieder einmal ins Labor und schauen uns an, wie der Amerikaner Joseph Banks Rhine arbeitete, der zunächst Jenseitsforschung betreiben wollte. Die Würfelexperimente hatten wir schon einmal, dieses Mal geht es um die Karten; eigentlich kann man das selbst ausprobieren. Die Farbe jeder Karte raten (Karo usw.) lassen. 25 Prozent ist das Zufallsergebnis, 30 Prozent wäre sensationell.  

Nach dem Ersten Weltkrieg schlief der »moderne Spiritualismus« langsam ein. Es hatte auch genügend Betrüger gegeben und Sensationshascher, und die Welt war technischer und rationaler geworden. Schon 1884 dachte Charles Richet darüber nach, wie man die Wahrscheinlichkeitstheorie in der Psychologie einsetzen könne, doch der mathematische Apparat wurde erst später, in den 1920-er Jahren entwickelt. 1927 zog Joseph Banks Rhine (1895-1980) mit seiner Frau Louisa in Durham ein und gründete das Duke University Laboratory, und dieses Ereignis gilt allgemein als der Beginn der experimentellen Laborphase in der Parapsychologie. 

Auch hier gab es Vorläufer, etwa den Franzosen René Warcollier, der lange Jahre Telepathie-Versuche angestellt hatte sowie den amerikanischen Literaten Upton Sinclair, dessen Buch Mental Radio 1929 großen Erfolg hatte. Seine Frau Mary Craig (ein begabtes Medium) zeichnete in Long Beach (Kalifornien) ihre Impressionen auf, während ihr Schwager Bob in Pasadena sich auf ein Bild konzentrierte, 290 Mal in einem Jahr und höchst erfolgreich. Rhine, den man gern »J. B. Rhine« nannte, ließ den Psychologen Karl Zener ein Kartenspiel entwickeln, das genial einfach war: fünf Symbole (Kreis, Viereck, Stern, Kreuz, Wellenlinien), die je fünf Mal vertreten waren.

Nun war es möglich, Telepathie zu testen, indem ein Teilnehmer vom Stapel eine Karte nahm und sich auf sie konzentrierte, während – weit entfernt – ein anderer zu raten versuchte, um welches Symbol es sich handelte. Für Hellsehen genügte es, die Karte aufzunehmen und wegzulegen: Der »Seher« würde seinen Eindruck sich nicht vom Partner holen, sondern direkt vom Objekt. Der Film Ghostbusters von Ivan Reitman (1984) beginnt mit einer Persiflage derartiger Versuche, wenn Dr. Peter Wenkman (Bill Murray) zwei Versuchspersonen traktiert.

Dann wird nachgezählt, und man würde, regierte der Zufall, auf 20 Prozent kommen. Doch bei den ersten 800 Versuchen ergaben sich schon 26 Prozent! So ging das weiter. Unglaublich begabte Versuchspersonen stellten sich ein, und die überzufälligen Ergebnisse konnten sich halten. Berechnet wird das mit der Mean Chance Expectation (MCE): Anzahl der Trials geteilt durch die Anzahl der möglichen Alternativen. Diese Zufalls-Erwartung wird vom z-Wert ausgedrückt, der je kleiner ist, desto weniger der Zufall mitspielt. Ein z-Wert von unter 0,05 ist das Ziel. 1934 veröffentlichte Rhine sein Buch Extra-sensory Perception (Außersinnliche Wahrnehmung), ein unerhört einflussreiches Buch. War das nun, fragte sich der Historiker John Beloff, der definitive Beweis?

Schön wäre es gewesen. Jedoch stellten sich, hinterher betrachtet, zwei Phänomene ein, die nicht aufgehört haben, die Parapsychologen zu beunruhigen. Erstens der »Experimenter effect«. Wer seine Leute zu motivieren versteht, erhält gute Ergebnisse. 1964 schrieb Rhine in einem Vorwort begeistert über die frühen Jahre in Duke: »Wo hat es je ein solches Teamwork, einen vergleichbaren Teamgeist, eine vergleichbare Atmosphäre gegeben?« Die Leute mochten sich und schätzten ihren Versuchsleiter Rhine – und so kamen überzufällige Ergebnisse heraus.

Der Student Hubert Pearce war fast drei Jahre der Star: Manchmal hatte er 10 Treffer hintereinander, und auch 25 hintereinander gab es. Bei Psi geht es um Menschen. Motivation und Freude spielen eine große Rolle. Langeweile ist der Feind von Psi-Phänomenen. Die Forscher versuchten dabei immer wieder, die Randbedingungen zu variieren. Wie geht es mit Hypnose, wie mit Beruhigungsmitteln, wie mit anregenden Mitteln?

1964 jedenfalls waren die großen Talente aus Duke verschwunden, und die Zahlen waren geschrumpft. Das ist der bekannte »Decline effect«, der Absinkungseffekt. Auch wenn man frische Leute ins Spiel bringt und alles versucht: Nach einer gewissen Zeit stellen sich die ersten Erfolge nicht mehr ein, und das ist so frustrierend wie unvermeidlich. So ging es den Rhines (Louisa sammelte schöne Spontanphänomene, der Mann stellte sich diszipliniert der Laborarbeit) auch bei ihren Versuchen über Psychokinese und Präkognition. Und noch ärgerlicher: Je stärker der Effekt zu Beginn, desto schneller verschwindet er.

Träume und Ganzfeld

1964, als Joseph Banks Rhine verträumt zurück blickte, fingen im Maimonides Medical Center in Brooklyn, New York, ein paar Forscher mit Traumexperimenten an. Das hieß Traumtelepathie und erinnert an die Traum-Inkubation, die in der griechischen Antike im »Psychomanteum« betrieben wurde. Ein Proband legte sich zum Schlafen hin, ein anderer in einem Nebenraum konzentrierte sich auf ein zufällig ausgewähltes Bild und »schickte« es ihm telepathisch »zu«. Sobald die Traumphase mit dem Phänomen des REM (Rapid Eye Movement) begann, weckte man den Träumer und ließ ihn den Traum aufschreiben und Zeichnungen beifügen. Dann wurde verglichen, und eine Zahl zwischen 1 und 100 gab den Grad der Übereinstimmung an.

Das unterscheidet sich von den Rhine’schen Experimenten mit den Forced-choice-tests (erzwungene Wahl), bei denen man bequem zählen konnte. Hier nun ging es um Free-Response-Versuche, also detaillierte Angaben in Worten, die schwieriger statistisch zu behandeln sind. Stanley Krippner und zehn Jahre später Montague Ullman waren die Versuchsleiter, und dabei – es war die Pop-Ära – wurden die Forscher kreativ. Bei einem Konzert der Band Grateful Dead wurden über Leinwände die Tausenden Besucher darum gebeten, sich auf einem Träumer zu konzentrieren und ihm eine Bildbotschaft zuzusenden. Im ganzen waren die Ergebnisse nicht überwältigend, und 1978 musste das Maimonides-Center wegen Geldmangels schließen.

Ganz ohne Erfolge blieben die Jahre nach Rhine nicht. 1969 war es der  1957  von ihm gegründeten »Parapsychological Association« gelungen, von der Dachorganisation der US-Wissenschaften, der American Association for the Advancement of Science (AAAS), aufgenommen zu werden. Es war ein viel bejubelter Durchbruch. Zehn Jahre später, 1979, wollte sie der Physiker John Archibald Wheeler hinauswerfen lassen, und sein Schlachtruf »Werft die ›Pseudos‹ hinaus aus der Werkstatt der Wissenschaften!« wurde legendär. Doch die »Pseudos« durften bleiben. 

 

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