Kinderspiele drauszen in den straszen

Da liegt bei mir ein dickes Buch von Michael Roes, Leeres Viertel, erschienen  1996 in Frankfurt bei Eichborn. Der Erzähler reist in den Jemen, um die Spielkultur dort zu studieren, und parallel zitiert er aus dem Reisebericht von Alois Schnittke, der Anfang des 18. Jahrhunderts in den Orient reiste. Eine Stelle von Roes will ich zitieren, und an seine Kleinschreibung und das sz für ß kann man sich gewöhnen.  

»Jemeniten spielen überwiegend im freien, während sich der spielraum der westlichen kultur zunehmend ins haus verlagert hat. Fast könnte ich von einer domestizierung des spiels sprechen. Das kinderspiel im haus musz, den umständen entsprechend, ruhiger und disziplinierter sein. Weder kann sich hier physische Kraft entfalten, noch können unbegrenzt mitspieler teilnehmen. Und natürlich lassen sich die spiele im haus von erwachsenen besser beaufsichtigen.  

Diese entwicklung hat in den letzten jahrzehnten stattgefunden. Ich kann sie anhand meiner kindheitserinnerungen nachvollziehen. Nicht das rauere klima ist verantwortlich für die ›verhäuslichung‹. Eher ist das gegenteil der fall: Die jahreszeitlichen unterschiede hatten zu einer gröszeren, den klimatischen bedingungen entsprechenden differenzierung unserer spiele im freien geführt (schneeballschlachten, drachen bauen und steigen lassen, bade- und strandspiele …).   

Wesentlicher grund für die verlagerung unseres spiels ins haus ist die zunehmende ›verstädterung‹ unseres ehemaligen spielraums: geschlossene bebauung, geschäfte, wachsender verkehr … Das drauszen bietet immer weniger freiräume; selbst das bemalen des pflasters mit einem hinkelfeld ist für einige passanten oder anwohner nun bereits ein ärgernis. Eine fast häusliche ordnung und sauberkeit hat sich bis auf die ja mittlerweile auch möblierten straszen ausgedehnt.« (S. 182/183)

Ein Kommentar zu “Kinderspiele drauszen in den straszen”

  1. Renate Frank

    Erfreulicherweise ist das in unserem Viertel – und in so manch anderem in Hamburg – nicht so. Unsere kleine Strasze :)) ist oft bunt bemalt und es ist schon witzig, was die Kinder sich alles so ausdenken…
    Die Kehrseite der Medaille: Die Kauf- und Mietpreise in diesen Gegenden sind derartig in die Höhe geschossen, dass es einem schwindelig wird. Die dramatische Entwicklung wird nicht zuletzt von Eltern angeheizt, die alles tun, um ihren Nachkommen eine schöne Kindheit zu bieten …