Verhinderte Erben

Bei den Erben fällt mir Lukian ein, der von 120 bis 180 gelebt hat.  Er zog als Redner durch die Gegend und nahm gegen Ende seines Lebens eine römische Beamtenstelle in Ägypten an, aber durch seine Satiren ist er bekannt geworden. In den Totengesprächen beklagen sich in der Unterwelt zwei Leute, die gerne etwas geerbt hätten, aber dann nur Pech hatten. 

Terpsion. Soll das vielleicht gerecht sein, o Pluton, dass ich in meinem dreißigsten Jahre habe sterben müssen, wogegen der mehr als neunzigjährige Thukrites noch immer fortlebt?
Pluton. Jawohl, vollkommen gerecht ist das, mein guter Terpsion, dass derjenige lebt, der keinem seiner Freunde den Tod wünscht, du hingegen starbst, weil du unaufhörlich auf seinen Tod gelauert hast, nur in Erwartung seiner Erbschaft!
Terpsion. Wie? Gebührt es sich nicht, dass ein alter Mann, der seinen Reichtum nicht mehr genießen kann, abziehe und jüngern Leuten Platz mache?
Pluton. Das ist ein ganz neues Gesetz, das du da gibst, Terpsion, wonach jeder, der seinen Reichtum nicht mehr zu seinem Vergnügen brauchen kann, sterben solle! Schicksal und Natur haben es anders verordnet.

† † †

Zenophantes. Du aber, o Kallidemidas, wie bist du denn gestorben? Denn dass ich selber als Dauergast des Deinias mehr, als mir gut war, gegessen habe und daran erstickt bin, das weißt du ohnehin — du warst ja dabei, als mich der Schlag traf!
Kallidemidas. Ja, ich war dabei. Mir dagegen ist etwas ganz und gar Unsinniges passiert. Du kennst doch wohl auch den alten Ptoiodoros?
Zenophantes. Den Kinderlosen, den Reichen? Mit dem — das wusste ich, hast du ja regen Umgang gehabt!
Kallidemidas. Ich wartete ihm lange fleißig auf, weil er mir Hoffnungen machte, bald abzufahren und mich zum Erben zu hinterlassen. Weil sich die Sache in die Länge zog, … so machte ich einen Abkürzungsweg zu seiner Erbschaft ausfindig. Ich kaufte Gift und bestach seinen Mundschenken, bei der ersten Gelegenheit, wo Ptoiodoros (der ein ziemlich herzhafter Zecher ist) zu trinken verlangen werde, das Gift in seinen Becher zu tun und ihm zu servieren. Dafür versprach ich ihm, und ich schwor ihm sogar einen Eid darauf, ichwürde ihn, sobald er das getan habe, freilassen.
Zenophantes. Und wie ging’s weiter? Du scheinst etwas Erstaunliches auf der Zunge zu haben.
Kallidemidas. Einmal, als wir beide aus dem Bade ins Speisezimmer traten, hielt der Bursche schon zwei volle Becher bereit, einen mit dem Gifte für den Ptoiodoros, den anderen für mich; ich weiß aber nicht, wie es kam, dass er sich vertat und den vergifteten Becher mir darreichte; den unvergifteten aber dem Ptoiodoros. So trank er ihn ruhig aus, ich aber lag sofort gestreckterlängs da und war an seiner Statt der untergeschobene Tote. Aber was ist dir denn, Zenophantes, dass du so toll zu lachen anfängst? Es ist nicht hübsch, einenFreund unter solchen Umständen auch noch auszulachen.
Zenophantes. Was dir da passiert ist, das ist doch gar zu spaßig, lieber Kallidemidas! Aber was sagte denn der Alte dazu?
Kallidemidas. Anfangs erschrak er freilich ein bißchen über das,. was da so jählings geschah; dann aber begriff er, scheint mir, was da vor sich gegangen war, und fing grad so unbändig wie du zu lachen an über das, was sein Mundschenk gemacht hatte.

(Reclam 1981, S. 97/100)

 

 

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