Stress (2)

Wir haben ja vor drei Tagen die Geschichte über Roseto in Pennsylvania gehört. Die 1960-er Jahre waren in den USA (und auch in Westeuropa) das Jahrzehnt, in dem es rasant aufwärts ging. Neue Häuser, schnellere Jobs, gehetzte Männer und frustrierte Ehefrauen daheim. Man sprach von der Type A personality.

In den frühen 1960-er Jahren waren sich alle einig, dass Stress sich im Körper bemerkbar machte und ihn niederzwang. Meyer Friedman und Ray Rosenman, zwei Kardiologen aus San Francisco (all das wieder aus Anne Harringtons Buch), bemerkten, dass Menschen kurz vor dem Abgabetermin der Steuererklärung in Herzinfarkt-Gefahr waren. Damals kannte man längst den Ausdruck Persönlichkeit vom Typ A: Sie waren hektisch, ehrgeizig, aggressiv.  (Illustrationen: aus einem Film der US-Serie Twilight Zone von Rod Serling, 1960-er Jahre: A Stop at Willoughby)

Die Kardiologen wählten 83 Männer, die ins Muster passten (Gruppe A), dazu 83 vom eher kontemplativen Typ B (Gruppe B) und eine zufällige Kontrollgruppe C. Das Ergebnis: Die Gefahr von Herzbeschwerden lag für Gruppe A sieben Mal höher als für B und C. Dann starteten Meyer Friedman und Rosenman eine Studie mit 3100 Männern, teilten sie in Typ A und Be ein und verfolgten sie alle achteinhalb Jahre lang. Danach war das Risiko für den Typ-A-Mann, eine Herzerkrankung zu erleiden, doppelt so hoch wie für den Mann von Typ B. Hervorragend! Das Ergebnis erschien 1975.  

Mitte der 1970-er Jahre war also die Botschaft durchgedrungen, Mitte der 1980-er Jahre zweifelte niemand daran, dass Hektik und das moderne Leben zum Herzinfarkt führten. Es änderte aber nichts am Verhalten der Menschen. Sie hatten zu viel zu verlieren; statt dessen entwickelten sich Entspannungsmethoden, und man verbesserte die Büros. 1988 wurden im Osten der USA die Resultate der Nahfolgestudie zu Friedman/Rosenman veröffentlicht.  

Man hatte die A- und B-Leute also weitere 13 Jahre beobachtet, insgesamt 20 Jahre, und da zeigte sich zur Überraschung aller, dass die Rate der Herzinfarkte für Typ A sogar unter denen von Typ B lag! Wie schon früher Richard Lazarus vermutet hatte, reagiert jeder Mensch anders auf Stress, der für manche ja sogar ein Lebenselixier ist. Nur zwei psychologische Faktoren schienen tatsächlich die Gefahr zu erhöhen: Feindseligkeit und Zynismus.  

So einfach ist es also nicht mit den Ergebnissen medizinischer Studien. Man freut sich, wenn herauskommt, was man sich gedacht hatte, die Journalisten jubeln und die Leser glauben es. Es werden uns ja viele Studien vorgesetzt, doch wir sollten lieber skeptisch sein. Es steckt meist eine Absicht dahinter. 

 

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