Voodoo am Bodensee

Mit dem heutigen Publikumstag endet die Eurobike in Friedrichshafen, laut Veranstalter »die Leitmesse des internationalen bike Business«. Oder Bike business? Bikiness? Ich war am Donnerstag dort und kam mit der Fähre aus dem schweizerischen Romanshorn über den See. Auf dem Oberdeck saß ein alter amerikanischer Indianer mit gekerbtem Gesicht und Zopf, der seinem jüngeren Mitreisenden eine traurige Geschichte erzählte. Ich wollte nicht hinhören; und dann tat ich’s doch. 

Ein reicher Freund habe sich eine Mätresse genommen und seiner Frau das  gesagt; und dann noch, dass er sie nie geliebt habe. Der Indianer hatte es ihm ausreden wollen, doch der Mann blieb starrsinnig. Das rächte sich. Die Ehefrau setzte Himmel und Hölle in Bewegung, um ihren Mann zu ruinieren, wandte sich sogar an einen Voodoo-Priester, und am Ende, erzählte der Indianer, sei sein Freund gestorben, krank und völlig verarmt. Dann legte das Schiff an. Wir stiegen in den Bus zur Messe.    

Das sind Geschichten, die sich Männer erzählen und die die Angst vor der Frau schüren. Aber hatte der Mann sein Schicksal nicht verdient? Er erntete, was er gesät hatte, und die Strafe kam schon in diesem Leben. So lernt man. Das Messeheft zeigte mir rasch, dass es eine Firma namens VooDoo Cycles gab — Halle B 4, Stand 112. Da musste ich hin.  

Die VooDoo Cycles entstanden 1994 in Kalifornien. Joe Murray ist der Kopf dahinter, ein alter Mountainbiker und »Rockhopper«, der auch einen Blog schreibt.  Auf der Homepage wird er gefragt: »Warum diese Namen?« Antwort: »Sind halt Voodoo-Namen.« Die Modelle heißen Zaka (Erdwächter), Zobop (Geheimgesellschaft), D-Jab (magischer Geist), Aizan (Beschützer vor dem Bösen), Sobo (Soldatengottheit), Bizango (schwarzmagischer Kult), Soukri (Heiliger Tempel), Wanca (Voodoo-Zauberspruch), Bokor (Schwarzmagier), Hoodoo (mystische Volksmagie), Kaji (der Geist der Magie) und Nakisi (geheime Medizin).  

Die Firma ist nun in Santa Fe im US-Bundesstaat Neu-Mexiko ansässig. Von dort liegt Haiti etwa 2000 Kilometer östlich; da ist jedenfalls ein Einfluss spürbar. Voodoo leitet sich vom nigerianischen Vodu  ab und gelangte mit den aus Afrika in die Karibik verschleppten Sklaven auch nach Hispaniola, das sich Haiti im Westen und die Dominikanischen Republik im Osten aufgeteilt haben. In Haiti war Anfang 2010 ein furchtbares Erdbeben, das Port-au-Prince fast völlig zerstörte. Ich habe damals darüber geschrieben.

Voodoo ist mehr als Nadeln in eine Puppe rammen und jemandem den Tod wünschen; es ist eine Religion mit christlichen Elementen. Der Körper heißt corps cadavre, N’âme ist die vitale Energie des Körpers, Z’étoile der Schicksalsstern, und dann hat jeder Mensch einen gros bon ange (einen großen, guten Engel: die Lebenskraft) und einen ti bon ange (einen kleinen Engel: die individuelle Seele, die sich etwa in Träumen auf Reisen begibt). Gott ist Bondieu, der gute Gott, mit dem man höchstens durch Geistwesen in Kontakt treten kann, den Loa. Wie in orientalischen Vorstellungen ist, so denke ich, N’âme nur das Transportvehikel für die Abreise, und großer und kleiner Engel müssen möglichst beieinander bleiben, damit der Verstorbene gut im Reich des Geistes leben kann.

Wo waren wir? Ach ja, die Messehallen in Friedrichshafen, Baden-Württemberg. 40000 Fachbesucher (meist Männer zwischen 20 und 50) kamen zur Eurobike, 1180 Aussteller aus 45 Ländern, 1824 Medienvertreter aus 36 Ländern (ich war nicht registriert, bin also Nummer 1825). Die Welt des Fahrrads. Viele verschiedene Welten – vielleicht sind es unendliche Welten – existieren gleichzeitig, und ein Fahrradfreund kann auch Parapsychologe oder Pfeifenkenner sein, und alle diese Welten haben Gemeinsamkeiten: Menschen verwirklichen sich, projizieren ihre Liebe auf Objekte, und ihre Seele wächst daran. Überall versuchen Menschen, das zu werden, was sie sind und dabei auch ein wenig Spaß zu haben.  

Detail eines Colnago-Rennrads

Nach fünf Stunden bleibst du dann plötzlich stehen und lässt alles an dir  vorüberströmen. Du bist nur noch Wahrnehmungsinstrument; aber um dir den Abschied zu verdienen, musst du noch in Halle A 6 zu den Asiaten, die für sich sind und die Fahrräder lieben wie du selbst. Das Gestern ist vergangen, der Morgen noch nicht gekommen, und ich bin nur noch ein müdes Sein, un es cansado (Quevedo). Bevor ich die Halle verließ, liefen mir doch tatsächlich noch einmal der Indianer und sein Begleiter über den Weg, die mich allerdings nicht kannten; es war aber bedeutsam.  

Die Schwäne zeichneten ein unergründliches Muster in den See, als wir ablegten.

 

Dann ging es hinaus aufs Wasser, in die Schweiz, das Land der Freien.

 

 

 

 

 

http://futura9.de/2010/01/19/das-auge-des-betrachters/

 

 

www.voodoo-usa.com     

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