Dialektik auf dem Theater

Bertolt Brecht schrieb nicht nur viele unvergessliche Stücke, sondern beschäftigte sich auch theoretisch mit dem Theater. Sein episches Theater wollte aufklären; es wolltemit dem Verfremdungseffekt  zeigen, wo die Entfremdung liegt, und dabei war er hart und klar in seiner Kritik der herrschenden Zustände.

Brecht sah deutlich, dass der »Apparat« (also das, was Theodor W. Adorno die Kulturindustrie nannte), längst eine übermächtige Maschinerie war. Für Apparat im folgenden Zitat können wir ruhig das Fernsehen einsetzen. Brechts Kritik war marxistische Kritik, aber neben ihm haben auch Adorno und in Italien Pier Paolo Pasolini erkannt, dass wir uns im Griff eines Monsters befinden.

In dem Aufsatz Die Dialektik auf dem Theater, der nach 1951 entstanden ist, schreibt Brecht, es bestehe »bei den Kopfarbeitern selber immer noch die Fiktion, es handele sich bei dem ganzen Betrieb lediglich um die Auswertung ihrer Kopfarbeit, der auf ihre Arbeit keinen Einfluss hat, sondern ihr nur Einfluss verschafft. Diese bei Musikern, Schriftstellern und Kritikern herrschende Unklarheit über ihre Situation hat ungeheure Folgen, die viel zuwenig beachtet werden. Denn in der Meinung, sie seien im Besitz eines Apparates, der in Wirklichkeit sie besitzt, verteidigen sie einen Apparat, über den sie keine Kontrolle mehr haben, der nicht mehr, wie sie noch glauben, Mittel für die Produzenten ist, sondern Mittel gegen die Produzenten wurde, also gegen ihre eigene Produktion (wo nämlich dieselbe eigene, neue, dem Apparat nicht gemäße oder ihm entgegengesetzte Tendenzen verfolgt). Ihre Produktion gewinnt Lieferantencharakter. Es entsteht ein Wertbegriff, der die Verwertung zur Grundlage hat. Und dies ergibt allgemein den Usus, jedes Kunstwerk auf seine Eignung für den Apparat, niemals aber den Apparat auf seine Eignung für das Kunstwerk hin zu überprüfen. Es wird gesagt: dies oder das Werk sei gut; und es wird gemeint, aber nicht gesagt: gut für den Apparat. Dieser Apparat aber ist durch die bestehende Gesellschaft bestimmt und nimmt nur auf, was ihn in dieser Gesellschaft hält. Jede Neuerung, welche die gesellschaftliche Funktion dieses Apparats, nämlich die Abendunterhaltung, nicht bedrohte, könnte diskutiert werden. Nicht diskutiert werden können solche Neuerungen, die auf seinen Funktionswechsel drängten … Die Gesellschaft nimmt durch den Apparat auf, was sie braucht, um sich selbst zu reproduzieren. … Die Fortgeschrittensten denken nicht daran, den Apparat zu ändern, weil sie glauben, einen Apparat in der Hand zu haben, der serviert, was sie frei erfinden, der sich also mit jedem ihrer Gedanken von selber verändert. Aber sie erfinden nicht frei: der Apparat erfüllt mit ihnen oder ohne sie seine Funktion, die Theater spielen jeden Abend, die Zeitungen erscheinen x-mal am Tag; und sie nehmen auf, was sie brauchen; und sie brauchen einfach ein bestimmtes Quantum Stoff.«

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