Tulls Anderson

Vorgestern (ja, wieder vorgestern) am Abend Jethro Tull’s Ian Anderson live im Bad Krozinger Kurpark gesehen, Einladung für meine Schwester zu ihrem Geburtstag  War ganz okay, aber der Funke sprang nicht über. Es war im Grunde das Konzert, das ich 1990 gesehen hatte. 25 Jahre Stillstand. Stagnation.

Da spielte ja nicht Jethro Tull, auch nicht Ian Andersons Jethro Tull, sondern Jethro Tull’s Ian Anderson, diese semantische Feinheit (so fein auch nicht) muss man sehen. Anderson hat sich Mietmusiker zusammengeholt (einen Gitarristen aus Rosenheim!!) und spielt souverän und gekonnt, was er seit 30 Jahren spielt, und er redet ein bißchen ironisch herum, und alles ist perfekt mit dem kleinen Schönheitsfehler, dass es nicht zündet, weil die Band die Rockrituale zu routiniert zelebriert. Am Ende Aqualung, als Zugabe Locomotive Breath, Licht an, aus. Das ist Rockmusik ohne Herz. Ist aber ein Zeichen der Zeit: der kulturelle backlash, der Triumph des Bewährten, der Sieg der Reaktion.

Man fragt sich, wem das etwas bringen soll. Man begreift, dass echter Rock, der einen packt, körperlich sein muss. Es müssen romantische Schmachtfetzen sein oder harte Dinger, aber wortlastige Etüden und komplizierte Songgebilde sind nicht die Seele der Rockmusik. Man lernte an diesem Abend, auf welche Songs man gut verzichten konnte in den vergangenen Jahrzehnten: auf die Songs von Jethro Tull minus Aqualung minus Locomotive Breath. Zwar scherzte Anderson (67 Jahre alt), als er Jimmy Page von Led Zeppelin (73 Jahre alt) getroffen habe, da habe er ihm gesagt: »Wir sehen uns dann bald auf der anderen Seite.« Doch nach dem Song Too Old to Rock ’n‘ Roll, Too Young To Die blieb ein Kommentar von seiner Seite aus.

Da fiel mir ein, dass ich am Ende meiner Zeit bei dpa, im Herbst 1990, ein Stück über den Niedergang der Rockmusik geschrieben hatte. Ich sprach damit auch über meine persönliche Situation: Ich meinte auch meine persönliche Sackgasse und meinen Niedergang damals, aus dem ich dann aber wieder auferstand wie Phoenix aus der Asche. Danach mochte ich Rock immer noch, aber ich habe ihn abgehakt, und aus den vergangenen 25 Jahren möchte ich nur noch U2 und King Crimson hervorheben.  Der Text des Artikels ist aber interessant.

Bundesrepublik/Musik
Die Rockmusik spielt sich um die Zukunft
Von Manfred Poser =

Hamburg (dpa) – Wer in der Sackgasse steckt, kann nur noch zurück. Also drehte der irische Rockgitarrist Gary Moore seiner Elektrogitarre den Strom ab und ging bei den alten Bluesmeistern in die Schule. Die Band „Tears for Fears“ hat, wie viele andere, den Synthesizer abgeräumt. Ob das neue Ideen bringt? Die US-Rockgruppen „Poison“ und „Guns ’n‘ Roses“, lange als junge, hungrige Gruppen gelobt, stimmen die alten Standards an. Die britischen Musiker Peter Gabriel und Sting suchen in der Dritten Welt, in Brasilien und Westafrika, nach neuen Inspirationen.

Als Mick Jagger und Tina Turner flotte Dreißiger waren, durfte die Rockmusik noch progressiv genannt werden. Sie war die rohe, vorwärts drängende Kraft in der Popmusik, der populären Unterhaltungsmusik. Doch im Sommer 1990 bemisst sich der Fortschritt im Rock am ehesten nach Bühnengröße, Zuschauerzahlen und Verkaufsdaten der Platten. Jagger und Turner sind Stars auch in diesem Festival-Sommer, wirken aber ungleich frischer als ihre Musik.

Die Rockmusik hat ihren Dampf verloren. Es mehren sich die Sitmmen, die sie in der Agonie sehen. Robert Hilburn von der „Los Angeles Times“ meinte, zum ersten Male nach fast 40 Jahren habe dr Rock seinen Rang als schöpferisches Zentrum im Pop eingebüßt. Christian Seiler klagte kürzlich in der Schweizer Wochenzeitung „Weltwoche“ über das matte Rock-Musical „The Wall“ in Belrin und forderte: „Gebt uns den Rock ’n‘ Roll zurück!“

So geht das noch eine Weile weiter. Lassen wir das. Ich habe damals ja schon alles gewusst. Damals war Rock unser Leben, heute ist es Zierat.

 

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