Ferdinand Sauerbruch

In meinem Elternhaus gab es ein Buch mit dem Titel Das war mein Leben. Als Kind las ich wenig darin, denn das Bild des Autors wirkte irgendwie abstoßend: Brille wie eine Eule, sehr streng und wie eine Person aus einer anderen Zeit. Nun habe ich das Buch gelesen, der Autor war Ferdinand Sauerbruch.

Erschienen war es 1956, im Jahr vor meiner Geburt, und da war Sauerbruch fünf Jahre tot, gestorben mit 75 Jahren in Berlin. Geboren 1875 wie Thomas Mann, allerdings in Wuppertal-Barmen, machte er rasch Karriere als Arzt und Chirurg und wurde 1910, als 35-Jähriger, als Professor nach Zürich berufen. 1919 wechselte er mit der Familie nach München, mitten in den Wirren der roten und dann der weißen Revolution.

1928 rief Berlin, die Reichshauptstadt. Das war natürlich die Krönung. Dort blieb er, überstand die Nazis und den Krieg, und dort schrieb er auch seine Lebenserinnerungen. Ein großartiger Mensch. Berühmt wurde er schon 1908, als er die Thoraxchirurgie revolutionierte. Man konnte damals nicht im Brustraum operieren. In ihm herrscht ein anderer Luftdruck, etwa der auf 300 Metern Meereshöhe im Vergleich zum Druck am Meer. Wenn Luft in die Brust eindrang, starben die Menschen schnell.

Operationssaal in den USA, Maryland, 1918/28 (Library of Congress)

Sauerbruch dachte sich eine Kammer aus, in dem der ideale Luftdruck herrschte, und mit den Händen (und dem Besteck) konnte man durch Öffnungen operieren. Man wusste gar nicht genau, wie es da drinnen (im Brustraum) aussah. Nun konnte man auch Menschen leichter von Tuberkulose heilen und am Herzen operieren. Später, im Ersten Weltkrieg, entwickelte Ferdinand Sauerbruch auch künstliche Hände, die vom verbliebenen Muskel bewegt werden konnten.

Als Chef war er streng, manchmal cholerisch, aber er warnte seine Untergebenen vor: Er werde nicht immer sehr nett sein, aber es gehe nicht anders. Tausend Anekdoten gibt es in dem Buch! Ein Arzt hatte eine salzlose Diät entwickelt, um die Hautkrankheit lupus zu heilen; Sauerbruch richtete eine Abteilung ein, aber niemand wurde gesund. Bis er eines Nachmittags eine Schwester sah, die Würste und Schweinefleisch in die Abteilung brachte, da ihr die jammernden Kranken leid taten …

Was für ein turbulentes Leben! Sauerbruch heilte Könige und Königinnen, brachte Geheimbotschaften nach Istanbul, wurde verleumdet und angegriffen (weil er in Zürich etwa öffentlich Champagner trank). Er rauchte Zigaretten und trank gern. Nach der Operation sei ein Piccolo Sekt das beste Kreislauf-Stärkungsmittel, meinte er. Für seine Assistenten galt der Zölibat. Man war mit dem Krankenhaus verheiratet; wer sich verlobte, wurde entlassen. Doch diese Strenge paarte sich mit Vorurteilsfreheit. So gab es viele, die August Bier wegen seines Eintretens für die Homöopathie verurteilten; Sauerbruch setzte sich für ihn ein.

Die Nazis verachtete er, und einmal musste er zu Hitler. Dessen Schäferhund griff ihn an, doch Sauerbruch, der Pferde hielt und sich mit Tieren verstand, gewann die Liebe des Hundes. Worauf Hitler fast verzweifelte: »Was haben Sie getan? Dieses Tier war das einzige Wesen, das mich liebte. Nehmen Sie ihn mit, ich will ihn nicht mehr!« Sauerbruch wusste, dass er kein Psychiater war; aber einen solchen hätte man gebraucht, schrieb er.

In einem Bunker operierte er mit Mitarbeitern Anfang Mai 1945, als die Russen kamen, Tag und Nach. Überall lagen amputierte Gliedmaßen herum. Ein Chirurg müsse das aushalten, meinte er. Jahrhundertelang waren Chirurgen verachtet und mit Badern (Friseuren) gleichgestellt worden. Ferdinand Sauerbruch war eine Zierde seiner Zunft und ein hervorragender Mann.

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