Esa noche: la muerte

Diese Nacht (esa noche) beginnt der Tag der Toten, der in Mexiko groß gefeiert wird. Schon vor zwei Jahren hatte ich über John Hustons Film Unter dem Vulkan geschrieben, schau her! Jetzt fand ich im Internet einen Aufsatz des mexikanischen Autors Octavio Paz (1914-1998) über Allerheiligen (hier im Original).

Passend zum Fest kam auch der Film Dieses schöne Scheißleben von Doris Dörrie in die deutschen Kinos, der eine Mariachi-Frau (Maria del Carmen) durch Mexiko begleitet. Mariachi ist der volkstümliche mexikanische Musikstil, der außerhalb des Landes am bekanntesten ist, und die Musiker (mit Trompeten, Streichern, Gesang) tragen den Anzug des Charro, des wohlhabenden Grundbesitzers des 19. Jahrhunderts: enge bestickte Hosen, Sombrero, Weste, Cowboystiefel. Der Tag der Toten ist der Hintergrund des Films, und es gibt viel Musik und Tanz.

Foto von Giovanna Braghetti (Nov. 2012)

»Wir sind ein rituelles Volk«, schreibt Octavio Paz in seinem bereits 1950 erschienenen Aufsatz Todos Santos, Día de los Muertos. »Die Kunst des Feierns hat sich bei uns intakt erhalten.« In reichen Ländern habe man kein Geld und keinen Humor. In Mexiko sei der einzige Luxus das Fest (was damals galt, als alle sehr arm waren, 1950). Bei solchen Gelegenheiten öffne sich der schweigsame Mexikaner und entlade seine Seele. Niemand spreche leise, alle gäben sich verschwenderisch.

Dahinter steckt ein magischer Gedanke: Mit den hohen Ausgaben hoffe man, mittels Ansteckung selber mit dem Überfluss bedacht zu werden; Geld ruft Geld. (Das Opfer ist ja auch ein Deal mit der Gottheit: Ich gebe dir was und rechne damit, dass du mir etwas zurückgibst.) Die Moral des Festes ist nicht die des Alltags. Es ist eine verzauberte Welt, die Zeit ist eine andere Zeit, der Raum ist der Schauplatz des Festes (siehe bei uns Fasnacht/Fasching/Karneval). Das Fest ist ein Umsturz, aber auch eine Reinigung. Danach kehrt man läutert zurück (wie nach der Fasnacht, wenn der Kater abgeklungen ist).

Orange ist die Farbe des Todes in Mexiko (Foto: G. Braghetti)

»Algo nos impide ser«, schreibt Octavio Paz. Ein gewichtiger Spruch: »Etwas verbietet uns (Mexikanern), zu sein.« Vielleicht spielt das Christentum die große Rolle? Jedenfalls stößt erst das Fest den Mexikaner ins Leere, und los geht’s. Das besondere Verhältnis zum Tod, die chaotische Feier des Tags der Verstorbenen, warum?

Paz: »Die Gleichgültigkeit des Mexikaners im Angesicht des Todes nährt sich aus seiner Gleichgültigkeit dem Leben gegenüber. … Das Leben hat uns von Gespenstern ein für allemal kuriert. Sterben ist natürlich, sogar wünschbar. Der Tod verführt uns. In einer geschlossenen Welt ohne Ausgang, in der alles Tod ist, scheint das einzig Wertvolle der Tod. Was schert mich der Tod, wenn mich das Leben nicht schert? Alles ist weit weg vom Mexikaner, alles ist ihm fremd … unser Verhältnis zum Tod ist ein intimes, aber ohne Bedeutung und jeder Erotik beraubt.«

Dann schreibt er einen interessanten Satz, der heute sehr aktuell ist: Die Medienberichte im Westen über Verbrechen und die Begeisterung für die Kriminalromane zeigten, dass dieser Respekt vor dem menschlichen Leben, das der westlichen Zivilisaton immer angedichtet wird, ein unvollständiges Konzept oder einfach Heuchelei ist. „Der Kultus des Lebens, wenn er tief und total ist, ist auch ein Kultus des Todes.« (Der Westen will mit dem Krimi das Rätsel, der Tod hat damit nichts zu tun, ihn ignoriert man; es ist eine Kultur der Macher, und es geht immer um den Täter, das Opfer ist schon gleich vergessen. Man liebt den Tod nicht, und darum herrscht im Westen auch keine echte Lebensfreude, denn, so Octavio Paz, Tod und Leben sind zwei Seiten einer Medaille, es verdad.)

Der Mexikaner liebt seine Einsamkeit nicht, sondern er verschließt sich in ihr. »Unsere Undurchdringlichkeit setzt dem Leben die Maske des Todes auf.« (Nuestra impasibilidad recubre la vida con la máscara de la muerte.) Und die Bluttaten, die in Mexiko häufig sind, zeigen, dass die Normalität, derer wir uns immer rühmen, auch nur eine Maske ist. Alles wie im Karneval.

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