Allerheiligen

Gestern Mexiko und der Tod, heute, noch an Allerheiligen: Japan und der Tod. Hätte ich beinahe vergessen, bietet sich aber an, drängt sich auf, und es stand deutlich, wie für manipogo geschrieben, in dem 60-Seiten-Buch A Bar of Shadow von Laurens van der Post (1954).

Seltsam war: Ich hatte das Buch Hara von Karlfried Graf Dürckheim kaufen wollen, was mir nicht gelang. Hara war in meinem Kopf, ich setzte mich an die Sonne, schlug das erste ausgeliehene Buch auf – und da ging es um einen gewissen Hara, einen Japaner, der van der Post und seinen Freund John Lawrence in der Kriegsgefangenschaft gequält hatte.

»Er [Lawrence] hatte, als er in Japan war, immer das Gefühl gehabt, dass die Japaner ein Volk waren, das in einem tiefen, umgekehrten Sinn oder, wenn ich das lieber hätte, perversen Sinn eher in den Tod verliebt waren als ins Leben. Als Nation verklärten sie den Tod wie kein anderes Volk. … Es war, als ob das Individuum zu Beginn, gleich bei der Geburt, seine eigene Individualität ablehnte.«

Ihre Nabelschnur zur Vergangenheit sei nicht durchtrennt worden. Noch seien sie gebunden an die mythische Mutter, die große Sonnengöttin Ama-terasu. Sogar darin waren sie typisch pervers, umgedreht, denn für die meisten Rassen der Vergangenheit war die Sonne eine leuchtende maskuline Gottheit – für sie eine dunkel glitzernde Mutter. Der Mond jedoch, so geliebt und feminin für den Rest der Menschheit, war männlich für sie. Daher vielleicht die Liebe zum Tod? Hara drehte im Gefangenencamp durch, wenn der Mond voll am Himmel stand.

Dazu sei bemerkt, dass auch wir Deutschen zur Ausnahme gehören: Sonne weiblich, Mond männlich. Und Deutschland und Japan waren im Zweiten Weltkrieg verbündet, und die Deutschen mit ihrer Innerlichkeit neigten auch, wie der Krieg zeigte, zu Raserei und Selbstzerstörung. Auch die Nazis feierten den Tod, ihre Totenehrungen gehörten zu beliebten Festivitäten.

Lawrence sagte, wenn sein Freund je das japanische Totenfest so oft wie er besucht hätte, dann wäre er nicht überrascht, von ihm das Wort Liebe in Verbindung damit zu hören. Denn dieses Fest sei das fröhlichste aller japanischen Feiern gewesen. Die Toten waren glückliche, lustige, zufriedene und gutmeinende Geister. Warum? Vielleicht, weil die Lebenden, wie man dachte, das Sterben dem Leben vorzogen. Sie fanden es edler, für ihr Land zu sterben, als für es zu leben. Nicht das Leben, sondern der Tod galt ihnen romantisch, und das galt auch für Hara.

Hara wollte Lawrence vor seiner Hinrichtung noch einmal sehen. Der Engländer trifft ihn. Hara fragt sich, warum er sterben müsse? Was er getan, war nötig und geschah nicht, weil er besonders grausam sei; seine Strenge habe auch viele gerettet, und er begreife nicht … John Lawrence fiel wenig ein. Er hätte, meinte er später, Hara umarmen und küssen wollen und ihm sagen: »Wir löschen zwischen uns jegliches  persönliche Böse aus, und so werden sich Hass und Rache nicht weiter verbreiten. Nichts Böses soll durch uns weiter in die Welt kommen, weder in der unbekannten Welt, in die du gehst, noch in meiner.«

Er brachte es nicht heraus. Später hielt Lawrence mit dem Auto am Meer an und dachte lange nach. Er drehte um, wollte Hara das noch sagen, aber kam zu spät. Hara war schon gehängt worden. »Müssen wir immer zu spät kommen?« fragte John Lawrence. Darauf gab es keine Antwort, nur Trauer.

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