Schauspielernde Arbeiter

Ich lese gerade sporadisch das Buch Auslöschung von Thomas Bernhard, der vor 15 Jahren und zwei Wochen in dem Alter gestorben ist, das ich vor 13 Tagen erreicht hatte: fifty-eight. (Die Zahl klingt so astronomisch, man möchte sie nicht auf Deutsch hinschreiben. Cinquant’otto.) Hat nichts zu sagen.

Bernhards Erzähler Franz-Josef Murau lebt in Rom, schaut von seinem Fenster auf die Piazza Minerva hinunter (Nähe Corso) und redet unaufhörlich, es ist die übliche Bernhardsche hunderttausendschleifige Tirade, in der die Wörter widerwärtig und abstoßend in regelmäßigen Abständen wiederkehren. Die ersten 100 Seiten waren unterhaltsam, geradezu lustig, aber ob das noch weitere 400 Seiten lustig bleibt, bleibt abzuwarten.

Da fand ich auch eine Bestätigung meines Angriffs auf die Schule, und genüsslich zitiere ich:

»… mein Onkel Georg hatte mir die Lehrer schon sehr früh als das bezeichnet, was sie in Wahrheit tatsächlich sind, verkrampfte Duckmäuser, die an ihren Schülern nur ihre perversen Launen auslassen, die sie zuhause bei ihren Ehefrauen nicht auslassen können. Die Lehrer sind von allen sogenannten Gebildeten die gefährlichsten und die niederträchtigsten, hat mir mein Onkel Georg schon früh eingeimpft, sie stehen, was ihre Gemeinheit betrifft, auf gleicher Stufe mit den Richtern, die alle auf einer sehr niedrigen Stufe der menschlichen Gesellschaft stehen.« (S. 91)

Und auch das Folgende ist schön boshaft:

»Der Großteil der Menschheit, vor allem in Mitteleuropa, heuchelt Arbeit, schauspielert ununterbrochen Arbeit vor und perfektioniert bis ins hohe Alter diese geschauspielerte Arbeit, die mit wirklicher Arbeit genauso wenig zu tun hat, wie das wirkliche und tatsächliche Schauspiel mit dem wirklichen und tatsächlichen Leben. Da die Menschen aber immer lieber das Leben als Schauspiel sehen als das Leben selbst, das ihnen letzten Endes viel zu mühsam und trocken vorkommt, als eine unverschämte Demütigung, schauspielern sie lieber, als dass sie leben, schauspielern sie lieber, als dass sie arbeiten.« (S. 94)

Thomas Bernhard. Auslöschung. Suhrkamp-Taschenbuch 1563, 1. Auflage 1988. – Woher die Auslöschung kommt, will man auch gern wissen. Ecco:

»Die Auslöscher und die Umbringer bringen die Städte um und löschen sie aus und bringen die Landschaft um und löschen sie aus. Sie sitzen auf ihren dicken Ärschen in den Tausenden und Hunderttausenden von Ämtern in allen Winkeln des Staates und haben nichts als die Auslöschung und das Umbringen im Kopf …«

Übertrieben, sicher. Aber aus diesem Wutschrei spricht auch die Liebe zur Landschaft und den Menschen, und wie hässlich ist vieles doch seit der deutschen Vereinigung geworden, die Thomas Bernhard nicht mehr erlebt hat. Das Fußballfeld, das täglich zugepflastert und zubetoniert wird. Heimwerkermärkte und Discounter, Logistikzentralen und Umgehungsstraßen. Alles künstlich, nichts mehr natürlich.

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