Untergang eines Reiches

Der Kreter Nikos Kazantzakis, bekannt geworden durch den Roman Alexis Sorbas, ist immer viel und gern gereist. Von einer früheren Reise durch Griechenland brachte er Gedanken über die Dekadenz mit, die in seiner Autobiographie Rechenschaft vor El Greco stehen.  

Geboren wurde Kazantzakis im Jahr 1883, und am 26. Oktober 1957 ist er in Freiburg im Breisgau gestorben, wo er wegen Leukämie behandelt worden war. Seine Autobiographie, deutsch erschienen 1978, ist Buch mit wertvollen Gedanken. Kazantzakis war ein Suchender mit hohen ethischen Ansprüchen an sich und andere, und er kam sich selbst sehr nah. Nun die Stelle (S. 170/171) über den Untergsang einer Kultur:

Ein schöner, athletischer Körper, eine ruhige Haltung, die Beherrschung der Leidenschaften sind Charakterzüge des freien Menschen. … Harmonie des Geistes und des Körpers, das ist das Ideal der Griechen. Ein Überwiegen des einen auf Kosten des anderen wurde für barbarisch gehalten. Als die Griechen begannen, von ihrer Höhe herabzusinken, begann der Körper des Athleten übermäßig zuzunehmen und den Geist zu verdrängen. Der erste, der auf diese gefährliche Veränderung hinwies, die dem Geist durch den Sport drohte, war Euripides. (…)

Auch in Griechenland sinkt die Kultur – wie überall –, wenn der Realismus zu herrschen beginnt. Und so geriet das Griechentum in die ungläubige, realistische, jedem überindividuellen Ideal abholde, großmäulige hellenistische Zeit. Vom Chaos war man zum Parthenon gelangt, und jetzt ging es vom Parthenon zurück ins Chaos. Der ewige, erbarmungslose Rhythmus. (…)

Zeus wird ein verspielter Elegant, und Herakles kehrt in das Tierreich zurück. Griechenland beginnt nach dem Peloponnesischen Krieg sich aufzulösen, der Glaube an das Vaterland geht verloren, der Individualismus triumphiert, Hauptdarsteller ist nicht mehr Gott oder der idealisierte Ephebe, sondern der reiche Bürger mit seinen Wolllüsten und Leidenschaften: ein ausgesprochener Materialist und Skeptiker. Begabung ersetzt das Genie und später Ästhetik die Begabung. Die Kunst stellt nur Kinder und eitle Frauen dar, realistische Szenen und tierische oder intellektuelle Menschen.

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