Viel Zeit

Nun ist mir beim Volleyballspielen die Sehne eines Fingers gerissen, ich trage eine Schiene und muss sie sechs Wochen tragen. Komisch, wieder außer Gefecht gestellt, am Tag vor der geplanten Abreise. Ich habe jetzt viel Zeit, mir Gedanken darüber zu machen, was dahinter steckt.

Irgendwie ist es, als sei man plötzlich von dieser Erde abberufen worden. Schneller Tod durch Unfall mit sofortigem Emporschweben in die Andere Welt. Wie vielen wird es schon so ergangen sein! Der Absturz des Airbusses in Südfrankreich ist erst sieben Wochen her. Beim Abflug saßen 150 Menschen in der Maschine, die sich vermutlich schon etwas für Ostern ausgedacht hatten oder eine Fete zur Rückkehr, und für die Erkenntnis, dass das alles vielleicht nichts mehr würde, blieb ihnen eine Minute, dann explodiert alles.

Die Diesseitswelt tritt zurück, nichts ist mehr wichtig, Mitkämpfer und Mitgenossen dieses Erdenwallens stehen schon wie hinter Milchglas und winken verzweifelt, während man immer höher gebeamt wird.

Ich habe jedoch den Vorteil, meine Begegnungen persönlich absagen zu können. Ich bin platt wie ein Reifen ohne Luft, aber ich lebe noch. Was fängt man mit den vielen Sommertagen an? Was mit den Nächten?

Ein Plan fürs Jenseits muss her, für diese Phase, in der man auf sich zurückgeworfen ist. Vager Plan: manipogo jeden Tag. Die Phänomenologie des Geistes von Hegel lesen. Russisch lernen und Doktor Schiwago im Original auszugsweise lesen. Einen angefangenen Roman, der in Santa Marinella spielt, weiterschreiben. Schon wieder Pläne. Wer lebt, plant, und wer nicht mehr lebt, auch, denn man lebt ja nicht nicht, sondern weiter.

Auf der Ebene der Illusionen nach Myers kann man sich viele Wünsche erfüllen und bequem hundert Jahre überbrücken. Dann aber wird es langweilig. »Jetzt hast du deinen Spaß gehabt«, raunt dir ein Engel zu, »aber meinst du nicht, es gebe mehr? Willst du nicht der Höchsten Kraft näherkommen, die hinter den Schleiern auf dich wartet? Dazu musst du deinen Egoismus vergessen und deine Persönlichkeit auch, du musst rein sein und fehlerfrei.«

Dazu fragte ich mich heute Mittag in Müllheim: Warum sagen alle, im Jenseits sei es überirdisch schön, dass man es mit Worten nicht schildern könne? Da strömt natürlich die Liebe der Großen Absicht ungehindert, und da alle fast durchsichtig sind und geistige Körper haben, werden sie von ihr durchdrungen.

Hier unten quillt sie durch die grobe Materie nur hindurch, und wenn sie da ist, in der Atmosphäre, dringt sie nicht richtig in uns ein, weil unser materieller Körper sie abblockt und unsere Gedanken sie fernhalten. Und unsere Liebe und Ausgelassenheit vermittelt sich nur unvollkommen. Doch, dachte ich mir weiter, wenn diese Leute, sie so verdrossen herumstehen, alle selig wären unbd lächeln würden, weil sie die kosmische Güte spüren, sähe es hier fast paradiesisch aus.

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